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Interview zum Tourabschluss der Tonfilm-Konzerte
aus dem "Neuen Tag", Weiden:

Déjà-vu-Erlebnisse werden zum "Tonfilm"
Exklusiv-Interview mit BAP-Gründer Wolfgang Niedecken und dem neuen Gitarristen Helmut Krumminga
von Andrea Herdegen-Reichenberger

Helmut und Wolfgang beim Interview.Eine neue Mannschaft zum 20. Bandjubiläum, sofort nach der Studioplatte "Comics und Pinups" und der Tournee das ungewöhnliche Album "Tonfilm" mit der konzertanten Variante der Band, gleich im Anschluss eine erfolgreiche Tour vor sitzendem Publikum durch Opernhäuser und Kulturpaläste der gesamten Republik.Und nun sind Rock-Fans und Cineasten gleichermaßen begeistert, denn der "Tonfilm" wird Wirklichkeit: Regisseur Wim Wenders dreht über die Kölner Rockgruppe BAP ein Roadmovie. Fans der Mundartrocker wurden in den vergangen zwölf Monaten immer wieder überrascht. Doch auch bei den Musikern sorgte diese ereignisreiche Zeit für Staunen. Die Kulturredaktion führte zum Abschluss der "Tonfilm"-Konzerte in Aalen ein Gespräch mit BAP-Chef Wolfgang Niedecken und dem neuen Gitarristen Helmut Krumminga.

BAP ist immer für Überraschungen gut: Erst die Umbesetzung, dann das ruhige Tonfilm-Album und die besondere Tour und danach auch noch das Filmprojekt mit Wim Wenders. Geht es so rasant weiter?

Wolfgang Niedecken: Wir sind selber von dem Ganzen überrascht. Wir hatten zunächst einmal das Ziel, den Bandumbau im Jubiläumsjahr ohne größere Blessuren auf die Reihe zu kriegen. Das hat ja nun wunderbar funktioniert. Dann haben wir uns entschieden, die "Tonfilm-Tour" im Jahr 2000 fortzusetzen. Wir hatten einfach noch keine Lust aufzuhören, weil das Projekt überall so gut ankam. Dann kam der Zufall mit Wim Wenders, so etwas kannst Du ja nicht planen. Wenn wir am Anfang von der Idee mit dem Film gewusst hätten, wären wir ganz anders vorgegangen. Dann hätten wir relativ früh angefangen zu filmen. Und so musste das alles in der Winterpause zwischen den beiden Tourteilen auf die Reihe gebracht werden. Der Wim wollte ja nur für einen Regisseur einspringen, der uns versetzt hatte, um das Video für unsere neu eingespielte Single "Mayday" zu drehen. Dann ruft er mich auf einmal an und sagt: "Komm, lass uns doch was Richtiges machen." Das Einzige, was wir momentan sicher wissen ist, dass wir im Sommer Open Airs spielen. Was da noch alles passiert, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass es vernünftig wäre, als nächstes kein Livealbum rauszubringen sondern ein Studioalbum, weil wir haben das Gefühl, wir müssen einmal etwas Reguläres machen, bei dem ganzen Unregulärem.

Welches Thema hat der Film?

Niedecken: Die Band im Jetzt-Zustand unterwegs. Man hat Déjà-vu-Erlebnisse, es passieren Sachen, die einen zwingen, an etwas zu denken, was in der Bandgeschichte vorgekommen ist. Nur Momente, ganz ohne eine Wichtigkeitsliste. Die Spielszene wurde in der Lichtburg in Essen, einem unglaublich schönen alten Kino, gedreht. Gäste sind die Gruppe "Anger 77", sie spielt unsere Crew, Marie Bäumer stellt eine Platzanweiserin dar, Joachim Krol einen Filmvorführer und der Wolf Biermann spielt den Wolf Biermann, das kann er sehr gut. Auch ein 80-jähriger Kinomaler wirkt mit. Es wird eine Geschichte, die wie ein Puzzle ist.

Bist du stolz darauf, dass Wim Wenders überall auf der Welt BAP-Alben dabei hat?

Niedecken: Klar bin ich darüber stolz. Ich wusste das nicht. Ich kenne ihn jetzt seit '87 und wir haben uns oft und lange unterhalten, aber auf dieses Thema wäre ich nie gekommen. Das hat er dann irgendwann in einem gemeinsamen Presseinterview erzählt und als ich das hörte, wäre ich fast vom Stuhl gefallen.

Wie ist die Zusammenarbeit in der neuen Truppe? Macht es Spaß, gemeinsam auf Tour zu sein?

Helmut Krumminga: Es ist toll. Es ist eine sehr entspannte, lockere Atmosphäre, was man auch merkt, wenn wir auf der Bühne sind. Wir arbeiten sehr spontan, nehmen uns manchmal bei Soundchecks eine Nummer vor und spielen dieses Stück am selben Abend beim Konzert. Alles ist in Bewegung, voller Kreativität und Inspiration. Ein sehr entspanntes Arbeiten, trotz des ganzen Wahnsinns, der im letzten Jahr über uns einbrach.

War der Bandumbau in so kurzer Zeit ein Problem?

Niedecken: Das war überhaupt kein Problem. Das einzige, vor dem ich Angst hatte, war die Akzeptanz vom Publikum. Ich bin ja regelrecht stolz, wie unvoreingenommen die Fans mit diesem Bandumbau umgingen. Sie haben sich das einmal vorführen lassen, hingehört, für gut befunden und alles in Ordnung. Wir haben in der ganzen BAP-Geschichte nie so gute Kritiken bekommen.

Wie bringen sich die neuen Musiker ein? Kann man von einer demokratischen Band sprechen?

Krumminga: Es geht sehr demokratisch zu, es ist ein sehr kreatives Arbeiten. Aber Wolfgang als "Dienstältester" der Band hat natürlich schon die Möglichkeit, etwas mehr Einfluss zu nehmen. Ich habe das Gefühl, dass der Wolfgang sich als Mitglied einer Rock'n'Roll-Band am wohlsten fühlt, wenn jeder in seinem Schaffensbereich die Regie führt. Das hat bisher wunderbar geklappt, auch bei den Aufnahmen zum "Tonfilm-Album", wo wir uns zum ersten Mal zusammensetzen mussten, um Musik zu arrangieren.

Helmut, hattest du keine Angst, ein schweres Erbe anzutreten und immer an deinem Vorgänger Klaus "Major" Heuser gemessen zu werden?

Krumminga: Ich wäre nicht BAP-Gitarrist geworden, wenn ich mich mit meiner eigenen Spielerpersönlichkeit nicht hätte einbringen können. Dann wäre das für mich völlig uninteressant gewesen. Ich glaube, es läuft jetzt so gut, weil ich ein komplett anderer Typ bin, der völlig anders spielt und der eine ganz andere Grundeinstellung zum Gitarrespielen hat. Ich hatte keine Angst davor, den Job zu machen. Ich war mir nur nicht sicher, ob vielleicht der Ausstieg von Major für viele Leute reicht, dass sie sagen, das kann jetzt nichts mehr sein. Der Tag der Präsentation in der Kölner Philharmonie war sehr spannend. Es war toll, nach den ersten Nummern zu merken, dass die Leute zuhören, Interesse daran haben. Das hat sich auf der Tour so fortgesetzt.

War es schwierig, für einen Musiker, der keine einzige BAP-CD im Schrank hatte, in die alteingesessene Band einzusteigen?

Krumminga: Nein, für mich persönlich war es eher erleichternd, dass ich diese ganzen alten Versionen nicht kannte, um eben gar nicht erst Gefahr zu laufen, irgendwelche Sachen zu übernehmen. Es war einfach eine spielerische Situation, weil ich wußte bei der Produktion des "Tonfilm-Albums" meistens nicht, ist das eine alte Nummer von BAP, ist sie vielleicht ganz wichtig für BAP oder ist sie neu. Dadurch habe ich jede Nummer so behandelt, wie ich ein Stück Musik behandeln würde, wenn man sagt, was fällt dir dazu ein. Dadurch ist auch diese Spontaneität und Frische entstanden.

Was ist das Besondere an BAP im Vergleich zu den anderen Bands, bei denen du warst?

Krumminga: Was ich wirklich ganz besonders bei BAP finde, ist das grundsätzliche Klima. Das Verhältnis Band und Crew zum Beispiel ist ganz fantastisch. Jeder wird mit Respekt behandelt, es sind lauter Freundschaften. Und das ist nicht in jeder Band so. Ich habe auch oft erlebt, dass die Crewleute in einem anderen Zimmer sitzen.

Das Team Wolfgang Niedecken/Klaus Heuser hatte sich beim Songschreiben bewährt. Wie entstehen jetzt die Lieder?

Niedecken: Wirklich als Team. Wenn ich nicht immer auf Majors Musik geschrieben hätte, wäre mit dem Team nichts mehr gewesen. Er hat sich mit meinen Texten oder meiner Musik nicht mehr befasst. Ich war dann immer sehr sachdienlich und habe mich mit jeder Nummer hingesetzt und habe geschrieben. Jetzt komme ich mit einer Musik an und alles steigt ein und hilft, dass die Nummer klasse wird. Es ist ein gegenseitiges Geben.

Krumminga: Mit Jens Streifling gibt es in der Band jemanden, der für die letzten beiden Alben bereits geschrieben hat und so lange ich Musik mache, habe ich auch immer Songs verfasst. Es gibt jede Menge Material und jede Menge Ideen. Ich glaube, wir werden ein Füllhorn haben und müssen dann nur noch auswählen.

War die Trennung mit dem Major freundschaftlich oder gab es doch etwas Ärger?

Niedecken: Es gab keinen Ärger, bloß freundschaftlich, ich war nie mit dem Major befreundet.Wir sind einfach zu verschieden. Major ist ein ganz anderer Mensch, er hat ganz andere Vorstellungen und Ziele vom Leben. Wir hatten mal die gleiche Vorliebe für die Stones, das hat sich bei Major schon lange gelegt, da steht er lange nicht mehr drauf. Wir sind beide fußballverrückt. Gott sei Dank, ein Thema, über das wir reden konnten. Wir haben immer betont, dass da so eine Art von kreativer Spannung ist, die ja auch vieles hervorgebracht hat. Nur irgendwann kann die kreative Spannung zur kreativen Verspannung werden und dann hast du ein Problem. Und es wurde immer schwerer, das auf die Reihe zu kriegen. Wenn Jens  und Werner nicht bei der Amerika-Produktion dazu gekommen wären, dann hätte ich es nicht mehr durchgehalten. Ich war wirklich an einem Punkt, wo ich die Atmosphäre im Studio nicht mehr verkraften konnte, ich konnte so nicht mehr arbeiten.

Habt ihr jetzt noch zum Major Kontakt?

Niedecken: Wir hatten nie Kontakt. Tut mir leid - ich würde gerne was anderes sagen. Wir haben geprobt, wir sind auf Tour gewesen, waren im Studio, und hatten ansonsten keinen Kontakt. Der hat einen komplett anderen Freundeskreis als ich.

Krumminga: Aber so etwas gibt es häufiger. Ich habe das auch schon kennengelernt, dass man eine sehr gut funktionierende Band hat, wo man kreativ sehr gut zusammenarbeitet. Und wenn man dann eben nicht gerade zusammenhängt, dann in komplett anderen Bereichen sein Leben verbringt.

Seid ihr vom Erfolg des "Tonfilm-Albums" überrascht?

Niedecken: Wir sind natürlich so selbstbewußt, dass wir sagen, wir haben das verdient, weil das Ding ist wirklich klasse. Das Programm, das wir jetzt auf Tour spielen, ist so gereift und schlüssig, dass wir es vielleicht einmal auf einem Livealbum haben wollen. Wir können den Erfolg noch gar nicht richtig fassen. Ich sitze oft da und schreibe das Tourtagebuch, und denke, du kannst doch nicht schon wieder schreiben, das war klasse. Aber wenn es doch klasse war, dann kann ich das doch auch schreiben!

Krumminga: Und das Schöne ist, dass wir jetzt wirklich den Rücken frei haben und in aller Ruhe ans neue Album gehen können. Denn am Anfang, als die ersten   Schlagzeilen auftauchten, der Major steigt aus, da hatten wir das Gefühl, wir kommen gar nicht richtig dazu, uns um unsere Musik zu kümmern. Es gab immer andere Themen, als uns hinzusetzen und zusammen zu spielen.

Findet ihr es erstaunlich, dass so viele Fans BAP über die 20 Jahre die Treue gehalten haben?

Niedecken: Es ist unglaublich, wenn ich denke, was wir in dieser Zeit alles kommen und gehen sahen. Was alles groß war in der Musikszene und nun komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Unser großes Stammpublikum ist die Krönung. Ich sehe so viele bekannte Gesichter im Publikum. Ich könnte irgend eine Stadt sagen, da kommt dann bestimmt der und die. Und wenn ich dort bin, dann schau ich und glatt stehen sie schon da.

Hätte BAP als Newcomerband heute noch eine Chance?

Krumminga: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass der Erfolg von BAP damit zu tun hat, dass es etwas ganz Spezielles ist. Genau das Gegenteil von dem, was so viele probieren. Die meisten versuchen ja international zu klingen. Wenn genügend Charakter vorhanden ist, hat man immer eine Chance.

Niedecken:  Aber die Radiolandschaft hat sich inzwischen komplett verändert. Wir hatten vor 20 Jahren den Nachteil, genau zur Discowelle zu kommen, kein Mensch wollte eine Rockband hören. Aber wir hatten den Vorteil, dass wir noch in den Genuss der öffentlich-rechtlichen Radiosender kamen, gerade der Südwestfunk hat uns gepusht.

Hat man nach 20 Jahren Bühnenerfahrung noch Lampenfieber?

Krumminga: Lampenfieber ist so ein Wort. Ich würde dies eher als eine gewisse Spannung bezeichnen. Es ist so eine Art Tunnelblick. Sportler haben das ja auch, bevor sie versuchen, ihre Höchstleistung zu bringen. Man konzentriert sich auf den Moment, wenn es losgeht. Es ist ganz wichtig, dass es nicht zu einer völlig   routinierten "Ach ja, ich muss auch noch auf die Bühne"-Mentalität verkommt. Wir leben sowieso den ganzen Tag, wenn wir auf Tour sind, nur für den Moment, wo wir endlich auf die Bühne gehen können.

Wolfgang Niedecken & Co brauchen also die Bühne, die Zuhörer, den Applaus...

Niedecken:  Ich glaube, dass ich aufhören würde mit dem ganzen Theater, wenn ich nicht mehr auf Tour gehen könnte. Da hätte ich keine Lust drauf. Dann würde ich vielleicht noch Songs schreiben, aber das Wesentliche wäre weg, wenn ich den Kontakt mit den Leuten nicht mehr hätte.

Wolfgang, wie steht es mit der Malerei, hast du noch genügend Zeit dafür?

Niedecken: Ich habe seit den Proben zu "Comics und Pinups" keinen Tag mehr im Atelier verbracht. Es ist einfach zu viel passiert. Aber ich bin guter Dinge, so wie die Open Airs vorbei sind, werde ich es wieder schaffen. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich im Atelier stehe, mir die Musik anhöre, für die ich Texte machen soll, und gleichzeitig an einem Bild arbeite, dabei vergesse ich total die Zeit.

Warum stehen die politischen Aussagen nicht mehr so stark im Vordergrund?

Niedecken: Es ist vielleicht nicht mehr so plakativ, wie es einmal war. Aber beispielsweise "Mayday" ist eine hochpolitische Nummer. Ich gehe ja nicht hin und schaue, wo ist das Thema, das jetzt unbedingt verarbeitet werden muss. Wenn mich etwas sehr beschäftigt, dann wird danach ein Song daraus. Ich bin nicht unpolitischer geworden. Vielleicht habe ich eine Zeit lang mehr gedacht, ich müsste unbedingt die Message transportieren. Ich habe mittlerweile begriffen, besser ist, ich drücke mich aus und die Leute finden die Message für sich selbst. Ich habe mehr Respekt vor den Zuhörern gekriegt.

Ist es wichtig, dass sich Künstler politisch engagieren?

Niedecken: Es ist wichtig, dass sich alle Menschen politisch engagieren. Ich  unterscheide mich nicht von einem Bäcker, einem Schuster oder einem Versicherungsvertreter.

Um die Medienlandschaft geht es im Titel "Mayday". Wie seht ihr die Entwicklung?

Niedecken: Eine absolute Katastrophe. Du brauchst nur einmal durch das Fernsehprogramm zu zappen und du siehst lauter Symptome für vorsätzliche Verblödung. "Big Brother" ist ja nur eine Eisbergspitze, da gibt es noch ohne Ende mehr. Allein der Begriff "Quotenkiller Kosovo", der hat mich komplett vom Hocker gehauen.