--Buch

"Arsch huh, Zäng ussenander - gegen Rassismus + Neonazis"
Eine Stadt. Eine Bewegung. Ein Aufruf.
von Helmut Frangenberg (Hrsg.)

"Am 9. November 2012 versammelten sich über 80.000 Kölner und Kölnerinnen auf der Deutzer Werft. 20 Jahre nach der legendären Kundgebung gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit auf dem Chlodwigplatz hatten Kölner Musiker und Künstler wieder zum Protest aufgerufen: „Arsch huh, Zäng ussenander!“ wurde erneut zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und die soziale Spaltung der Stadt. Das Buch „Arsch huh, Zäng ussenander“ Eine Stadt. Eine Bewegung. Ein Aufruf.“ erinnert mit Berichten und Bildern an die beiden Kundgebungen und beschreibt das Engagement der Musikerinitiative. Es ist ein Erinnerungsstück für begeisterte Teilnehmer, ebenso wie ein Denkanstoß. Mitstreiter von Arsch huh sowie viele weitere Autoren schreiben über Protest und Heimatlieder, das Selbstverständnis einer selbstverliebten Stadt, die rechte Szene in Köln und über politische Herausforderungen für die Zukunft.
Mit Beiträgen von Wolfgang Niedecken, Bläck Fööss, Peter und Stephan Brings, Tommy Engel, Carolin Kebekus, Wilfried Schmicker, Fatih Çevikkollu, Höhner, Gerd Köster, Arno Steffen, Shary Reeves, Jürgen Becker, Jürgen Roters, Alfred Neven DuMont, Jens Meifert, Jan Wördenweber, Harald Welzer, Martin Stankowski, Erwin Orywal, Adé Bantu, Nedim Hazar, Hans-Peter Killguss und vielen mehr.

Der Erlös des Buches geht komplett an die AG Arsch huh!


Hier ist Wolfgang Niedeckens Beitrag für das Buch:


Wir kamen am 22. Oktober 1992 im Restaurant des „Stadtgarten“ zusammen. Die Kölsch singende Szene war fast vollständig vertreten, die meisten kannten sich. Der Tenor der Besprechung: Man müsse etwas organisieren, dass den Menschen in dieser Stadt die Gelegenheit biete, Flagge zu zeigen. Eine Großveranstaltung müsse her, auf der man möglicherweise auch ein paar Songs zum Thema beisteuern könne. Auf dem Neumarkt? Vorm Dom? Auf dem Alter Markt? Im Müngersdorfer Stadion?
Aber all das waren keine besonderen Locations. Keine von ihnen würde symbolisieren, dass es sich bei der geplanten Veranstaltung um etwas ganz Spezielles handelte. Es ging schließlich darum, dass sich die gesamte Stadt gegen Rechts verbünden sollte. Ehrlich gesagt, hielt ich meinen eigenen Vorschlag, doch den Chlodwigplatz als Veranstaltungsort in Betracht zu ziehen, zunächst selbst für illusorisch, aber je länger wir darüber nachdachten, desto besser gefiel uns die Idee.
Und überhaupt: An und für sich wollten wir ja alle auf dieser Kundgebung spielen. Bloß wie war so etwas durchführbar? Allein die Frage der Umbaupausen zwischen den einzelnen Acts stellte einen doch schon vor vermeintlich unüberwindliche Zeitprobleme. Andererseits hatte ich erst kurz vor Kurzem, am 16. Oktober, im New Yorker Madison Square Garden der grandiosen Feier von Bob Dylans dreißigstem Bühnenjubiläum beigewohnt, bei der alle der namhaften Gratulanten über dieselbe Backline gespielt und damit den Beweis erbracht hatten, dass der technische Aspekt durchaus lösbar war, wenn sich jeder bemühte. Natürlich war der Klang in so einem Fall nicht von gewohnter Qualität, aber was machte das schon? Stecker rein und ab die Post. Der Frontmixer würde schon dafür sorgen, dass sich alles passabel anhörte.
Nächstes Problem: die Finanzierung einer solchen Veranstaltung. Schon die Bühne und die entsprechende Ton- und Licht-Anlage würden ein Vermögen verschlingen. Wollten wir keinen Eintritt verlangen, würden wir in Vorleistung gehen müssen. Wir beschlossen, uns schon in zwei Tagen wieder zu treffen und bis dahin in einzelnen Arbeitsgruppen an einem Song zu basteln, der, wenn alles klappte, das Zeug zu einer Hymne hatte, die wir dann im Eilverfahren aufnehmen wollten, um mit dem Erlös die anfallenden Kosten stemmen zu können. Gesagt, getan. Am Ende war so viel Material vorhanden, dass wir uns dazu entschlossen, ein ganzes Album zu veröffentlichen. Und der Song, den ich mit Vassilios Nikitakis und Effendi Büchel entwickelt hatte, sollte, so lautete das Abstimmungsergebnis, die fürs Radio ausgekoppelte Single werden.
Es war noch gar nicht so lange her, dass ich eines Morgens auf meiner Runde um den Block in der Bäckerei „Brochmann“ auf der Severinsstrasse gestanden und, noch müde, einem Handwerker im blauen Overall eben nicht widersprochen hatte, als der seinen fremdenfeindlichen Spruch losließ. Erst auf dem Weg zurück an den Frühstückstisch war mir bewusst geworden, dass ich schlicht gekniffen hatte.
Der Text von „Arsch huh – Zäng ussenander!“ handelt jedenfalls definitiv von mir.
ICH bin der Typ der seinem Vater nie verzeihen konnte, dass er sich „damals“ arrangiert hatte, bis schließlich nichts als Trümmer geblieben waren. In diesem Herbst 1992 dachte ich bei jeder Nachrichtensendung neu über die Szene an der Bäckereitheke nach und kam mir von Tag zu Tag beschissener vor. Ein Resultat dieses Nachdenkens ist dieser Songtext.
Am 26.Oktober erhielten wir vom Kölner Oberbürgermeister Burger das Okay für den Chlodwigplatz, und am Tag darauf nahmen wir im Can-Studio in Weilerswist „Arsch huh – Zäng usseinander!“ auf. Der Rest ist Geschichte, und wer sie noch nicht kennt, dem empfehle ich Tommy Engels wunderbaren Beitrag für das erste „Arsch huh“-Buch, in dem er die Ereignisse des 9. November 1992 aus seiner Sicht beschreibt.
Ich weiß noch, wie ich nach dem Konzert auf dem Chlodwigplatz in den frühen Morgenstunden des 10. November zusammen mit Tina, dem damaligen Chef der Sony, Jochen Leuschner, und dessen Frau Heike die wenigen Meter zu unserem Haus im Kartäuserhof zurückgegangen bin. Jochens Geburtstag hatte um Mitternacht begonnen, und einen Wunsch hatte er gleich parat. Jetzt, da bewiesen sei, dass man eine solche Veranstaltung stemmen könne, spräche doch im Grunde nichts mehr dagegen, auch in Frankfurt ein dann überregionales Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zu organisieren.
„Heute die, Morgen Du“ hieß die Veranstaltung, die am 13. Dezember über die Bühne ging und zu der Gott und die Welt vor der Frankfurter Messe erschienen waren. Nun fehlte nur noch ein ähnliches Statement in einer großen Stadt in den neuen Bundesländern. Denn da nicht hinzugehen wäre uns irgendwie feige vorgekommen. Mit einem leicht ausgedünnten Line-up und im Schneetreiben folgte also im März 1993 auf dem Leipziger Augustusplatz zwischen Oper und Gewandhaus das „Gewält ätzt!“- Konzert. Ich werde diesen Dreisprung der Konzerte nie vergessen, zeigt er doch, dass man so einiges auf den Weg bringen kann, wenn man es nur wirklich will.
Nachzutragen wäre vielleicht noch, wie empört wohl nicht nur ich war, als Helmut Kohl es nach dem Brandanschlag von Solingen am 29. Mai 1993 nicht für nötig hielt, an der Trauerfeier für die Mordopfer in der Türkei teilzunehmen, obwohl er dazu eingeladen worden war. Ihm wird es vollkommen egal sein, aber Kohl hat sich damals der Chance beraubt, zumindest einmal in seiner langen Amtszeit auch MEIN Kanzler zu sein.
Zum zehnjährigen „Arsch huh“-Jubiläum veröffentlichten wir mit “Heimatklänge“ ein Album, auf dem sich die Kölner Acts gegenseitig coverten. Wir wollten die Begriffe „Heimat“ und „Volksmusik“ nicht den Rechten überlassen. Präsentiert wurde das Album damals in der Philharmonie. Und noch mal zehn Jahre später, ein weiteres Jubiläum stand an, hatte ich Karl-Heinz Pütz am Telefon. Er wollte meine Meinung bezüglich einer adäquaten Veranstaltung einholen. Für mich kam nur zweierlei in Frage: Entweder würden wir im engsten Kreis feiern oder die ganze Sache noch einmal ganz groß aufziehen. Für eine Selbstbeweihräucherungsparty in Kölns guter Stube konnte ich mich jedenfalls nicht begeistern. Ich hatte das Gefühl, dass es da einen Schwur gab, den wir erneuern mussten. Und daran sollten eben so viele Kölner wie möglich teilnehmen können: ! NO PASARÁN !
Denn eins muss man den Bürgern dieser Stadt attestieren: Sie hatten sich einiges einfallen lassen, als es galt, sich am 20.September 2008 dem Anti-Islamisierungs-Kongress entgegenzustellen. Da war die „AG Arsch huh“ tatsächlich nur ein Teil des Widerstands gewesen. Wirte legten Bierdeckel mit der Aufschrift „Kein Köln für Nazis“ aus (eine Art Höchststrafe!), es gab „11000 Bauchtänzerinnen und Bauchtänzer gegen Rechts“, die die Zufahrtstraßen zum Tagungsort dicht machten, die Spieler des 1.FC Köln ließen sich in Trikots mit „Arsch huh“-Logo ablichten, und noch jede Menge weitere, vor allem humorvolle Aktionen fanden statt, um die „Pro-Köln“-Kundgebung auf dem Heumarkt zu verhindern. Unter anderem eben auch ein „Arsch huh“-Konzert vor dem Gürzenich, mit dem der Hauptzugangsweg blockiert wurde. Am Meisten aber hatte mich amüsiert, welches Schiff von der „Bonner Personenschifffahrt“ den Rechtspopulisten für ihre Boots-Sause auf dem Rhein zum Auftakt ihrer Tagung zugeteilt worden war – es war die MS „Moby Dick“, das vermutlich albernste Wasserfahrzeug, das jemals auf dem Rhein unterwegs gewesen ist. Keine Ahnung, wer sich dieses Gefährt überhaupt ausgedacht hat, vielleicht ist es ja auch nur durch dunkle Kanäle dem „Phantasialand“ entkommen. Jedenfalls war es urkomisch, wie einen die Medien über die „Odyssee der Moby Dick“ auf dem Laufenden hielten. Und fast noch besser dann die Entschlossenheit der Taxi- und Busfahrer. Als der Wal nämlich irgendwann seine ungenießbaren Passagiere wieder ausspucken wollte, fand sich nämlich weit und breit keiner, der die braune Spießerhorde in ihr Hotel am Stadtrand chauffieren wollte. Damals musste ich an einen Satz aus Heinrich Bölls Text „Straßen wie diese“ denken: „... denn noch hat keiner den Panzer erfunden gegen die Verwundung, die so rasch tötet: das Gefühl, lächerlich zu sein.“
Wir haben uns jedenfalls dazu entschlossen, „Arsch huh“ noch einmal im großen Maßstab stattfinden zu lassen. Auch diesmal sind wir wieder in Vorleistung gegangen. Auch diesmal sind es die Kölsch singenden Kollegen, die sich ins Zeug gelegt haben, um ein Album einzuspielen, auf das wir auch noch in zehn Jahren stolz sein können. Aber etwas ist mir klar geworden: Nach dem 9. November 2012 muss der Staffelstab endgültig in jüngere Hände übergeben werden, auch wenn unsere Sprache von immer weniger Menschen gesprochen und verstanden wird. Man kann schließlich auch auf Hochdeutsch den Arsch hoch kriegen. Und wir müssen aufpassen, dass solche Veranstaltungen nicht als Alibi missbraucht werden. Es wäre alles umsonst, wenn sich in unserer Stadt die Meinung verbreitete: „In Sachen Nazis brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, da kümmert sich ja ‚Arsch huh‘ drum!“

Auch wenn wir im zwanzigsten Jubiläumsjahr nicht unmittelbar gegen den zündelnden Mob ansingen – die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, und schlecht gebildete, chancenlose Menschen, die sich überflüssig fühlen und mit Brot und Spielen abgespeist werden sollen, gehen nun mal gerne extremistischen Rattenfängern auf den Leim. Und selbst wenn sie nicht den Populisten nachrennen, wird unsere Lebenswirklichkeit eine andere werden, dazu braucht man nicht einmal besonders pessimistisch zu sein. Davon handelt der Text, den wir mit BAP zum „Arsch huh 2012“-Album beigesteuert haben. Im Booklet erzähle ich, wie der Song entstanden ist:
„Eine dieser Tournee-Nächte, in denen der Adrenalin-Spiegel einfach nicht fallen will. Die Hotelbar lockt einen schon seit Jahren nicht mehr, und zum Lesen reicht die Konzentration um diese Uhrzeit auch nicht mehr richtig. Also was bleibt einem groß anderes übrig, als sich durch das Überangebot an Fernsehkanälen zu zappen! Irgendwann kommt man auf den Gedanken, dass bei all dem Schwachsinn, der da läuft, wohl auch jede Menge Ideale auf der Strecke geblieben sind. Diesen ganzen angepassten Schrott haben mit Sicherheit auch Leute zu verantworten, die mal angetreten sind, um etwas „besser“ zu machen und dem etwas entgegenzusetzen, was wir alle für „falsch“ hielten. Sind es nur Kompromisse oder steckt womöglich sogar ein Plan dahinter?“
Die unkontrollierte Gewalt hat bereits zugenommen und wird eines Tages eskalieren. Die Probleme der Globalisierung müssen von der Weltbevölkerung gemeinsam angepackt und gelöst werden, und jeder hat da zunächst mal vor der eigenen Haustüre zu kehren. Auch wir hier in Köln. Wir haben global zu denken und lokal zu handeln, wenn wir unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen: Mir sinn HE verantwortlich!
20 Jahre BAP - das sind gut 150 Songs, weit über 1000 Konzerte, das sind 11 Studio-, zwei Live- und ein Greatest Hits-Album. Das sind aber auch Millionen gefahrener Kilometer und ca. 7 Millionen verkaufte "Einheiten".
Was heute eine nun 20 Jahre währende Erfolgsgeschichte ist, die die Band bis nach China und Russland führte, war imGründungsjahr 1978 ein künstlerisches Himmelfahrtskommando: eine Band, die versucht, Rockmusik von internationalem Zuschnitt zu spielen und deren Frontmann seine Gedanken und Gefühle kölsch formuliert - think local, act global!
"Verdamp lang her - die Stories hinter den BAP-Songs" versammelt alles, was es an Wissenswertem, Unterhaltsamem und Biografischem hinter den Songs zu erzählen gibt, und so ist das Buch über 20 Jahre BAP von innen."

224 Seiten, Paperback, Euro 10,- , ISBN 3462038370
Kiepenheuer & Witsch, Köln