Bremen, 6. Oktober 2018
Pier 2

Ein Bericht von Daniela S.

Bock auf Rock oder Der alte Mann und die Stadt

Es ist passiert - nach all den Jahren wird über das Alter gesprochen. Bleibt nicht aus, wenn man in den Spiegel blickt, sich im Publikum umsieht oder den Wegbegleiter auf der Bühne betrachtet, der da ehrwürdig ergraut in die Saiten greift. Um es vorweg zu nehmen: Was Wolfgang Niedecken am jenem 06.10. zum Frühstück hatte, würde ich mir an manchem Tag auch wünschen. Ich jedenfalls war nach den knapp 3,5 Stunden ziemlich platt, obwohl ich nur mitgefeiert und fast 20 Jahre weniger auf der Uhr habe…

Aber mal von vorne. Beim Blick auf die noch leere Bühne hat mich schwer beeindruckt, dass man das Pier 2 in eine so zauberhafte Kulisse verwandeln kann. Mit rotem Teppich auf den emporführenden Stufen, die uns im Laufe des Abends in imaginäre Familienszenen und in filmische Untermalungen zu Songs und Erinnerungen entführten, mit üppigem Blütenmeer und Palmengrün. Auf mich wirkte das Bühnenbild gleichzeitig intim und weltoffen, fühlte mich sowohl persönlich angesprochen als auch eingeladen, ein bisschen an den guten und schlechten Jahren eines umtriebigen Lebens teilzuhaben. Ich muss gestehen, dass ich nur wenig auf die Vorspann-Musik geachtet habe; es ist immer wieder schön, auf altbekannte Gesichter zu treffen, sich über persönliche Erlebnisse auszutauschen, um irgendwann beim „Weisste noch…?“ zu landen. Immer wieder ein bisschen wie nach Hause kommen.

Pünktlich um Acht ging’s los und ich war froh, perfekt positioniert mittig in der zweiten Reihe stehend (!) genügend Platz zum Zappeln zu haben - bei diesem ersten Up tempo-Block konnte man doch nicht still stehen! Abkühlung erfolgte per Gänsehaut mit dem Bläser-Intro zu „Diss Naach…“ - wie grandios, dass die Band um das Gebläse erweitert wurde! Das etwas später folgende, von Wolfgang Niedecken als Albtraum beschriebene „Bahnhofskino“ war sicher inhaltlich einer. Ich würde den Song in diesem Rahmen als Aufführung bezeichnen; für mich ist das Stück sowieso ein gesungenes Gemälde und hier kam nochmal eine Farbe dazu. Danach folgte mein nächster Favorit: „Jupp“. Von Ulrich Rode mit berührender Akustikgitarre eingeleitet und von Anne de Wolffs Cello weitergeführt, habe ich diesen Song wieder genossen - und das Bremer Publikum offensichtlich auch. Ich könnte noch Stück für Stück umschwärmen - wer die Setliste sieht, weiß ja, dass es eine wirbelnde Mixtur aus Altem und Neuem, aus Klassikern, wichtigen Botschaften, Nachdenklichem, Gefühlsduseleien, Mitsingern und Abtanzern zu hören gab. Und da hat ja auch jeder seine eigenen Highlights. Mich hat trotzdem ein Stück ganz besonders überrascht: „Verdamp lang her“ kam ungewohnt schnörkellos daher und dabei erinnere ich mich an eine Aussage, dass die Combo „sich nicht ständig selbst covern“ will. Nach doch einigen Wechseln in der Band und den - wie ich finde gelungenen - Versuchen, das Stück neu zu erfinden, habe ich mich aber doch über die ziemlich klassische Version gefreut. Mag sein, dass sich hier ein Kreis schließt: Mich hat dies hier besonders berührt und vielleicht liegt das auch am Altern und an der größer werdenden Erlebnisbandbreite.

Nach dreieinhalb Stunden üppigem Klangteppich, großem Kino und einem lautstark mitgesungenen „Jraaduss“ ziehe ich das Fazit, dass die Bremer und die Angereisten der Band einen festen Sockel geboten haben und den Abschiedsworten des Chefs konnte man entnehmen, dass das da oben auf der Bühne auch so angekommen ist. Es ist eine Wohltat, dass es weitergeht und natürlich empfehlen wir die Kapelle weiter!