»EIN ROADMOVIE SONDERGLEICHEN«
- Ein Gespräch mit Wolfgang Niedecken - 

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von "OttFilm-Presseservice")

Gibt es einen besonderen Grund, warum der BAP-Film ausgerechnet jetzt gedreht wurde?

Wolfgang Niedecken: Den gibt es eigentlich nicht. »VIEL PASSIERT« hat mit einem Zufall angefangen. Ich kenne Wim schon seit längerer Zeit, seit 1987, genau gesagt. Dann haben wir uns auf einer Ausstellung wiedergetroffen. Ich hatte das »Tonfilm»-Album dabei, dessen Cover eine Hommage an den amerikanischen Maler Edward Hopper zeigt. Wim warf einen Blick auf die Abbildung und sagte sofort: Das ist aber eine schöne Hopper-Hommage. Und daraus entwickelte sich ein Gespräch und daraus sehr schnell die Idee für den Film. Wim fühlte sich von der Optik angesprochen, und das Album gefiel ihm auch, als er es sich später zuhause anhörte. Es war ein nicht richtig bewusst von mir ausgelegter Köder, aber Wim hat angebissen – mehr, als ich es mir hätte vorstellen können. Man muss dazu wissen, dass es in seinen Filmen immer wieder Einstellungen gibt, die auf Edward Hopper verweisen. Von der Ursprungsidee zur Umsetzung ist es bei einem Film ein weiter Weg.

Wie hat sich das Projekt entwickelt?

Wolfgang Niedecken: Wim hatte sehr schnell eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie er den Film machen wollte. Es hat dann wieder eine Weile gedauert, bis ich kapiert habe, was er mit seinen Ideen gemeint hat. Ganz ehrlich, ich habe vom Filmemachen keine Ahnung, auch wenn ich ein begeisterter Kinogänger und Wim-Wenders-Fan bin. Aber die tatsächliche Umsetzung war für mich ein echtes learning by doing. Es war ein unglaublich interessanter Prozess. Los ging’s im Januar 2000. Ich war mit meiner Familie zum Jahrtausendwechsel 1999/2000 in Costa Rica. Dort erreichte mich ein Fax mit einem Kilometer langen Treatment: Lass´ uns das doch irgendwie so machen. Ich konnte es gar nicht fassen. Es war wie ein Traum. In diesem Treatment waren die Grundzüge des Films bereits enthalten. Der Untertitel war: »Ein Roadmovie sondergleichen«. Wim stellte sich den Film so vor, dass die Band unterwegs ist und spielt und immer wieder Möglichkeiten geschaffen werden, über Blue-Screen-Rückprojektionen in die Vergangenheit zu gehen und damit verschiedene Handlungsstränge zu schaffen, die man wie einen Zopf zusammenflechtet. Das wichtigste Element ist ein Konzert in der Essener Lichtburg, das wir dann im März 2000 gespielt haben. Das ist ein sehr schönes altes Kino noch aus der Stummfilmzeit mit allem, was man sich unter Kino vorstellt. Wenn man Wims Filme kennt, dann weiß man, dass er sich von Locations immer auch Geschichten erzählen lässt. Dafür muss man eine besondere Sensibilität haben, und Wim hat sie, wie er wiederholt bewiesen hat. So entstand die Idee, zwei Schauspieler dazu zu holen – Joachim Król und Marie Bäumer – und als Filmvorführer und Platzanweiserin zu besetzen.

Wann kam der Begriff »Heimatfilm« ins Spiel?

Wolfgang Niedecken: Zu dieser Zeit. Der hat mir sehr geholfen. Damit meinte Wim natürlich keinen Film mit Alpenglühen und Heidekraut. Sein Ansatz war spezieller: »Heimat« stellt für eine Band, die in Dialekt singt, etwas sehr Wesentliches dar. Da ich eigentlich immer alles aus einem Kölschen Blickwinkel getextet, erlebt, geträumt habe, macht das absolut Sinn. Köln ist eine Stadt mit vielen Eigenheiten, sowas wie die kleine gallische Stadt, die in den Asterix-Comics immer mit dem Vergrößerungsglas eingefangen wird.

Niedecken und Wenders – das will auf den ersten Blick so überhaupt nicht zusammen. BAP, die Band mit den klaren Aussagen und in einer deutlichen Tradition verwurzelten Musik, und Wenders, der Filme-macher mit dem Sinn für das Abstrakte und nicht immer klar Definierte. Wie ging das zusammen?

Wolfgang Niedecken: Wims verstorbener Bruder, der im gleichen Jahrgang wie ich geboren war, hat ihm immer Musik nachgeschickt, egal, wo er sich in der Welt gerade aufhielt. Das war eine Art Verabredung. Das einzige Deutsche, das auf diesen Kassetten immer mit dabei war, war das jeweilig neue BAP-Album. Wim war von 1979 an immer komplett im Bilde, was wir gerade gemacht haben. Das war mir überhaupt nicht bewusst, als ich ihm auf der Ausstellung das »Tonfilm«-Cover gezeigt habe. BAP war für ihn immer eine Art Nabelschnur zur Heimat. Und das ist ein sehr wesentlicher Anknüpfungspunkt. Wir haben in Bezug auf Rockmusik sehr ähnliche Musikgeschmäcker. Er spielte sogar selbst einmal Saxophon, hat das Instrument aber später in einem Leihhaus versetzt, um sich eine Kamera kaufen zu können. Wim ist Düsseldorfer, ich bin Kölner. Es heißt zwar, dass Düsseldorfer und Kölner mentalitätsmäßig so weit auseinander liegen wie Nord- und Südpol. Aber das stimmt natürlich nicht. Es ist eine künstlich am Leben gehaltene Fehde, die man gerne pflegt, eine Koketterie, die einfach dazu gehört. Man darf den Zwist natürlich nicht ernst nehmen. So ergibt sich, dass Wim und ich einen verwandten Humor haben. Und im Lauf der Zeit haben wir noch viele weitere Gemeinsamkeiten entdeckt.

Gemeinsamkeiten schweißen aneinander. Aber lernen kann man nur von anderen Perspektiven und gedanklichen Ansätzen. Was haben Sie im Verlauf von »VIEL PASSIERT« von Wim Wenders gelernt?

Wolfgang Niedecken: Wie man einen Film machen kann. Ich fand das hochinteressant. Das einzig Schlimme an einem Film ist, dass er irgendwann fertig ist. Es ist eine wunderschöne Zeit mit vielen absolut irrsinnigen Situationen. Wenn Wim Kontakt zu mir aufnimmt, um an dem Film zu arbeiten, ist meine erste Frage immer: Wo bist du gerade? Da kommen unglaubliche Antworten. Tel Aviv, Los Angeles, Dublin. Egal, wo er gerade war, beschäftigte er sich auch mit diesem Film über eine Kölsche Band. Wir haben uns immer die Bälle zugeworfen. Anfangs musste ich nur lernen, seine Bälle auch zu fangen. Ich habe alles in einem riesigen Aktenordner gesammelt. Und wenn ich mir unklar bin, muss ich nur durchblättern und dabei fällt mir dann immer auf, wie konkret Wims Ideen schon ganz früh waren.

Im Laufe der Arbeiten haben Sie sich aber auch immer wieder von neuen Ideen und Situationen antreiben lassen.

Wolfgang Niedecken: Es gab viele ganz spontane Geschichten. Wir gingen zusammen zum Dylan-Konzert in Köln und trafen den Meister dann danach. Dylan kennt Wim seit langen Jahren und ist ein großer Fan seiner Filme. Wir saßen also gemütlich zusammen, als ich Wim erzählte, dass wir am nächsten Tag in der Südkurve des Müngersdorfer Stadion anlässlich des Wiederaufstiegs des 1. FC Köln in die Bundesliga einen Song spielen würden – eine etwas euphorische, großspurige Version des Blues, den wir zwei Jahre zuvor zum Abstieg verfasst hatten. In der gleichen Nacht trommelte Wim noch ein Team zusammen, um diesen Event für den Film festzuhalten. Da spielt auch wieder die Idee »Heimatfilm« mit. Natürlich ist auch unser Konzert vom 9. November 1992 als dokumentarisches Element eingebaut, als wir vor 100.000 Leuten auf dem Chlodwigplatz gegen Ausländerfeindlichkeit gespielt haben. Die Dinge fügten sich ganz homogen ineinander. Und der Schlüsselmoment war, als der Begriff »Heimatfilm« zum ersten mal fiel.

Das lässt im Kopf eigene Filme ablaufen – ähnlich wie die Blue-Screen-Einspielungen im Film.

Wolfgang Niedecken: Richtig. Da fallen einem weitere Dinge ein, wie zum Beispiel unsere gescheiterte DDR-Tournee, die wir 1984 in den Sand gesetzt haben, weil wir uns nicht zensieren lassen wollten. Auch hier kommt Dokumentarmaterial zum Einsatz. Und auch diese Episode gehört zum Heimatfilm. Genauso wie der Einmarsch der Amerikaner im Jahr 1945 und das Stück »Amerika«, das von diesem Ereignis inspiriert ist und von zwei Kölnern handelt, die diesen Einmarsch der Armeepatrouille in einer kleinen Gasse, gleich ums Eck, wo ich einmal gewohnt habe, miterleben.

Diente die Idee Heimatfilm auch als Leitfaden, welche Episoden aus der Geschichte von BAP in den Film aufgenommen wurden? Wie haben Sie ausgewählt?

Wolfgang Niedecken: Natürlich haben wir all’ das Material nicht gezielt durchsiebt. Aber Heimat ist ja auch etwas, das man fühlt, das man spürt. Und da spielt die Sprache eine wichtige Rolle, weil man sich in ihr Zuhause fühlen kann. Deshalb singen wir ja auch auf Kölsch. Man kann ja nicht in einer Amtssprache singen – vor allem nicht, weil eine Amtssprache nichts Gewachsenes ist. Das Hochdeutsche ist bloss eine Konvention, die festgelegt wurde.

Wie haben Sie die Songs ausgewählt, die in dem Film vertreten sind?

Wolfgang Niedecken: Wir haben das komplette Konzert gefilmt und dann ausgewählt. Songs, die noch nicht im Film, aber unserer Meinung nach wichtig waren, haben wir später eingefügt. Ein bisschen funktionierte das nach dem Schneeballprinizp. Ein Lied ergab sich aus dem anderen. Das war ein interessanter Prozess.

Das ist ein Prinzip, das sich wie ein roter Faden durch den ganzen Film zieht. Seine Struktur erinnert daran, wie das Gedächtnis funktioniert, wie sich aus gewissen Erinnerungen zwangsweise andere Erinnerungen ergeben.

Wolfgang Niedecken: Es ist eine Assoziationskette, an deren Ende ein Bild steht, das eigentlich nicht richtig fertig ist. Und das darf es auch nicht sein. Denn sonst wären wir ja fertig mit unserem Ding. Aber so ist es nicht. Am Ende des Films werfe ich noch einmal einen Blick zurück auf das Plakat und denke: Klar, viel passiert. Aber das war noch lange nicht alles. Einerseits ist in den Jahren ohnehin noch viel mehr passiert, als wir jemals zeigen könnten. Andererseits wird auch noch viel passieren.

Gab es ein Prinzip, nach dem Sie die einzelnen Episoden ausgewählt haben, die sie im Film sehen wollten?

Wolfgang Niedecken: Wir haben – schweren Herzens – die gesamte Entwicklung der Band an meiner Person festgemacht. Kunststück, denn ich bin der Gründer der Band und das einzige Mitglied, das von Anfang an, von den ersten Proben im Jahr 1976, als wir uns getroffen haben, um einen Kasten Bier leerzuproben, bis jetzt mit dabei ist. Sonst gab es ständig Besetzungswechsel. Nach mir am längsten war der Gitarrist Klaus »Major« Heuser mit an Bord, von 1980 bis 1999, aber selbst er war schon der zweite Gitarrist, den wir hatten. Wenn wir den Film an den Einzelpersonen aufgehängt hätten, wäre das ein ganz anderer Film geworden. Er wäre sehr ausgefranst und ein richtiger Rechtfertigungsfilm geworden, der trotzdem nicht allen gerecht wird. Also haben wir mich in den Mittelpunkt gestellt, auch weil ich derjenige war, der damals angefangen hat, Lieder auf Kölsch zu schreiben. Und die Musiker spielen halt kein Kölsch, sondern Rock ’n’ Roll, die internationale Volksmusik.

Auch eine Heimatmusik…

Wolfgang Niedecken: Für mich sehr. Ich weiß, welche Platten ich zuhause auflegen muss, wenn ich aus einer gewissen Stimmung ’raus oder mich in eine andere Stimmung ’rein versetzen will.

Ist das der Grund, warum Sie Ihre Fassung von Dylans »My Back Pages« als Titelsong ausgewählt haben?

Wolfgang Niedecken: »My Back Pages« war immer ein Stück, das mich sehr, sehr fasziniert hat. Es ist sehr sperrig und handelt ja auch davon, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Bob Dylan hat das im Alter von 23 Jahren geschrieben. Er hat sich mit diesem Stück gewehrt, ständig nur als dieser Typ gesehen zu werden, der weiß, wo es lang geht. Er hat ja überhaupt nur etwa fünf dieser kämpferischen Politballaden geschrieben, in denen er scheinbar eine Lösung anbietet. Und nach „My Back Pages» gibt es in seinem gesamten Werk bestenfalls noch zwei weitere Lieder, wo ihn bestimmte Ereignisse dazu animiert haben, pointiert Stellung zu beziehen. Sonst hat er immer nur das getan, was man auch tun sollte: Er hat auf die Zwischentöne geachtet. Es stimmt eben nicht, was Degenhardt in den Sechzigern behauptet hat: »Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf«. Sie sind ungeheuer wichtig. Das sieht man auch wieder an der momentanen Weltlage. Wenn wir nicht anfangen, uns um die Zwischentöne zu kümmern, können wir langsam das Licht ausdrehen.

Fällt es Ihnen leicht, bei der Übersetzung eines Titels wie »My Back Pages« eigene Worte zu finden?

Wolfgang Niedecken: Sowas macht mir unheimlich viel Spaß, gerade die Übersetzung der Dylan-Songs, die ich für mein zweites Soloalbum gemacht habe. Ich bin da nicht sehr verbissen ’rangegangen. Es war mir total bewusst, dass ich manche Stücke womöglich völlig falsch verstehe. Aber ich denke, bei Dylan ist das erlaubt – gerade, weil er nicht derjenige ist, für den man ihn vor »My Back Pages« vielleicht noch halten konnte. Nicht von ungefähr ist Dylan derjenige, der mich zum Schreiben eigener Songs brachte. Als ich mit 15 »Like a Rolling Stone« hörte, war es um mich geschehen. Ich fand das unfassbar. Davor hatte ich nur Beatles-Songs gekannt, und deren Texte hätten ja auch aus dem Reimlexikon sein können – bis sie selbst Dylan entdeckten.

Dass sich ein Song, wie bei Dylan üblich, weiterentwickelt im Lauf der Jahre, zeigt »VIEL PASSIERT« sehr schön anhand von »Verdamp lang her«, der in zahlreichen Fassungen zusammengeschnitten wurde. Kommt es vor, dass Sie an alten BAP-Songs selbst noch neue Dinge entdecken?

Wolfgang Niedecken: Mich überrascht das immer wieder. Sheryl Hackett, unsere Sängerin und Percussionistin, will immer jeden Text ganz genau erklärt bekommen. Erst vor ein paar Tagen habe ich ihr den Text von »Bahnhofskino« Wort für Wort auseinandergefrickelt. Und obwohl ich das Lied schon oft genug gesungen habe, war ich verblüfft, was ich alles neu oder wieder entdeckt habe. Je nachdem, wie andächtig ich ein Konzert auf der Bühne selber erlebe, kann das auch sehr hart sein. Das möchte man nicht bei jedem Konzert so intensiv und genau erleben wie zu der Zeit, als man das Lied geschrieben hat. Das wäre eine Geisterbahnfahrt. Routine kann da ganz hilfreich sein, dass man die traurigen oder verzweifelten Stücke beim Reproduzieren mit Würde übersteht.

Wann entstanden die Texte für das Voiceover, mit dem sie den Film begleiten?

Wolfgang Niedecken: Zunächst einmal hatte Wim Stichworte zu Themen, von denen er wollte, dass ich ihm etwas erzähle. Bei der ersten Version des Films hatten wir nur sehr wenig Zeit, uns um diesen Aspekt zu kümmern. Das war noch sehr roh. Wir setzten bei den schönen Momenten an und feilten sehr ausführlich an den Texten herum. Das war erst möglich, als der Schnitt eigentlich fertig war. Da sieht man dann, wie lang so ein Text sein kann, welchen Rhythmus er haben muss. Und wie das so ist in der Kunst: Man sieht auch, wo man etwas weglassen kann. Man muss den Leuten mit der Message nicht hinterherrennen. Wenn man Bilder, Musik und Text hat, kann es schnell zuviel werden.

Stand bereits zu Anfang fest, dass Sie die Lieder zum besseren Verständnis untertiteln würden?

Wolfgang Niedecken: Am Anfang stand die Idee im Raum, den Film nur außerhalb Kölns mit Untertiteln zu versehen. Aber mittlerweile finde ich, dass man das auch mit den Kölner Kopien machen sollte. Wir dürfen uns nicht vormachen, dass in Köln jeder Kölsch spricht. Es gibt immer weniger, die mit Dialekt in einer Stadt aufwachsen. Vielleicht auf dem Land? Vielleicht, weil die Menschen da mehr Alltag miteinander zu besprechen haben. Aber in Köln? Das dauert vielleicht noch zehn oder fünfzehn Jahre, dann spricht da keiner mehr Kölsch. Dann werden sich noch ein paar rührige Mundartpflegeclubs d´rum kümmern, aber eine Alltagssprache Kölsch, mit der sich Menschen unterhalten, wird es nicht mehr geben.

Aber Sie werden Ihre Texte weiter auf Kölsch verfassen?

Wolfgang Niedecken: Ich bin mit Kölsch aufgewachsen. Hochdeutsch war meine erste Fremdsprache. Natürlich könnte ich mittlerweile auch in Hochdeutsch oder Englisch Texte schreiben, aber ich müsste um Ecken denken und würde dadurch viel verlieren, was ich eigentlich ausdrücken möchte. So fing ja alles an mit BAP. Da saßen wir im Übungsraum und spielten brav Lieder der Stones, der Kinks oder Dylan nach. Aber die anderen drängten mich nach den ersten eigenen Songs in Kölsch, immer mehr davon zu schreiben. Die haben einfach mehr Freude gemacht.

Was hat sich geändert?

Wolfgang Niedecken: Es gab Umbesetzungen, und wir haben uns nie an einer Position verschlechtert. Heute ist es eine pure Freude zu sehen, wie schnell diese Band in der Lage ist, einen Song umzusetzen und daraus wirklich Musik zu machen. Das spielt sich mittlerweile auf einem Level ab, dass ich froh bin, überhaupt noch mitspielen zu können. Wenn die anderen richtig loslegen, dann lege ich die Ohren an.

Gab es in Ihrem Leben filmische Schlüsselerlebnisse, die sich mit der Entdeckung von »My Back Pages« vergleichen lassen?

Wolfgang Niedecken: Das klingt jetzt peinlich, aber Wim Wenders’ »ALICE IN DEN STÄDTEN« hat meine Sichtweise sehr stark beeinflusst. Ich habe damals Malerei studiert, und die ganze Polaroidangelegenheit, die da stattfindet, hat mich total beeindruckt und inspiriert. Ich fühlte mich auch von dem Grundproblem angesprochen, dem Versuch, die Zeit festzuhalten. Das hat mich lange sehr intensiv beschäftigt. Man muss nur einmal überprüfen, wie oft der Begriff »Zeit« in BAP-Stücken vorkommt. Und bei Wenders geht es auch immer wieder um diesen Begriff. Und als weitere Lieblingsfilme muss ich noch Werner Herzogs »FITZCARRALDO« und viele Filme von Jim Jarmusch nennen.

 Interessanterweise allesamt Filme, die durchaus etwas mit Rock ’n’ Roll zu tun haben.

 Wolfgang Niedecken: Klar, bei »FITZCARRALDO« geht es um Leidenschaft, so weit auf den Punkt visualisiert, dass ein Kolumbus-Ei-Film herauskommt. Da kann man als Rockmusiker viel d´raus lernen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn die Leidenschaft flöten geht, muss man aufhören. Es ist furchtbar, all’ die Untoten in diesen merkwürdig wiedervereinten Bands zu sehen, wie sie noch ein paar müde Mark verdienen wollen. Andere sieht man im hohen Alter durch die Gegend reisen, und man nimmt ihnen jeden Ton ab. Keith Richards, B.B. King, der mittlerweile nur noch im Sitzen spielen kann, Dylan – die wollen einfach spielen. Das ist eine Lebensform.