"Diese Nummer hat einen sehr einfachen Inhalt. ... Es ist fast so einfach wie bei der "Sesamstraße" die Nummer mit einem vollen Glas und einem leeren Glas. Es geht um die zwei Begriffe normal und unnormal. ... Die Idee zu dem Stück kam, als ich ein Foto gefunden habe in der Zeitung von fünf netten Familienvätern, die ... Granaten im Arm wiegten und sich damit ganz stolz hatten fotografieren lassen. Das waren Herren von der Rüstungsfirma "Rheinmetall" und die waren sehr stolz darauf und waren anscheinend sehr "normal", während die Frau, die mir kurze Zeit vorher etwas von sich erzählt hatte, halt wahrscheinlich sehr "unnormal" gewesen sein muß."

Wolfgang Niedecken auf dem Rockpalast-Konzert 1986 in der "Grugahalle" in Essen

"Dies ist eigentlich ein ziemlich einfaches Stück. Da hat sich jemand ... mehreres geleistet, was nicht unbedingt unter die Rubrik "normal" paßt. Diese Geschichte wäre mir fast nicht mehr eingefallen – die hat man mir während der letzten Tour hier in der Nähe in Ravensburg erzählt. Sie ist mir wieder eingefallen als ich diese fünf netten Familienväter auf einem Foto in einer Zeitung gesehen habe. Die "Jungs" waren von der Firma "Rheinmetall", und die hatten ganz stolz Raketen im Arm und posierten wahrscheinlich gerade für dieses Werbefoto. Es stellte sich halt die Frage: Wer gehört eigentlich hinter diese Backsteinmauern?"

Wolfgang Niedecken auf einem Open-Air in Konstanz am 7.6.1986

Lisa
Von der LP "Ahl Männer, aalglatt" 1986

Efeu klimmp ahn Backsteinmuhre, Stacheldroht setz Rost ahn – doch Lisa kann nit drövver luhre. Will och nicht. Do's zuvill noch ahn Passiertem, dat noch immer nit verdaut. Bilder, jän die se sich wehrt. Doch dat, wovüür't ihr ahm allermiehßte graut, ess de Logik, noh der sie hedrinn erlööß weed. Dä Kleine ess bei fromme Lück jetz – ohne Jold, Purpur un Türkis. Adoptiert, als se jraad clean wood, he'n dämm Kuckucksnest-Verließ. Sie, die plattjefahrne Katze met heimbraat. Has un Ijel, die se flöckl hinger'm Huus beerdigt – dofür ussjelaach wood. Et heeß: "Lisa, die esst verröckt" Nur für Lisa, die Verstörte, jilt dat nit, die sich für'n Hillije hällt, für'n mißverstandne Fee, für'n Madonna, die'n 'ner Folterkammer ligg. Se ess Leechtjohre entfernt un trotzdämm he. Lisa sieht sich wie se kusch ess – brave Tochter, trautes Heim. Durchschnittshorror artig rinnfriss, bess se platz, dann fleje Stein jäje Mörder, die als Biedermann jetarnt. Dann me'm Mario dat Kind. Un schon widder weed "Verröckte" sie jenannt vun dänne, die su "normal" sinn.

Lisa
Übersetzt von Chrischi 1998

Efeu klimmt an Backsteinmauern, Stacheldraht setzt Rost an – doch Lisa kann nicht drüber schauen. Will auch nicht. Da ist zuviel noch an Passiertem, das noch immer nicht verdaut. Bilder, gegen die sie sich wehrt. Doch das, wovor ihr es am allermeisten graut, ist die Logik, nach der sie hier drin erlöst wird. Der Kleine ist bei frommen Leuten jetzt – ohne Gold, Purpur, Türkis. Adoptiert, als sie gerade clean wurde, hier in dem Kuckucksnest-Verließ. Sie, die platt gefahrene Katzen mit heimbrachte. Hase und Igel, die sie schnell hinter dem Haus beerdigt – dafür ausgelacht wurde. Es hieß: "Lisa, die ist verrückt!" Nur für Lisa, die Verstörte, gilt das nicht, die sich für eine Heilige hält, für eine mißverstandene Fee, für eine Madonna, die in einer Folterkammer leidet. Sie ist Lichtjahre entfernt und trotzdem hier. Lisa sieht sich wie sie kusch ist – brave Tochter, trautes Heim. Durchschnittshorror artig reinfrißt, bis sie platzt, dann fliegen Steine gegen Mörder, die als Biedermann getarnt. Dann mit dem Mario das Kind. Und schon wieder wird "Verrückte" sie genannt von denen, die so normal sind.