"Es ist genau ein Jahr her, daß wir uns einen Betriebsausflug ganz "besonderer Art" genehmigt haben. Nämlich, daß wir in China waren. Und dort acht Konzerte gespielt haben – vor einem Publikum, was mit Rockmusik von vornherein gar nicht so viel mit anzufangen wußte. Allerdings wiederum, das wußten wir, und deswegen haben wir uns ein bißchen darauf eingestellt. In einem Land zu spielen, in dem man weder Elvis, noch Beatles, noch Stones kennt, das ist was ganz Besonderes. Daraus kann man Schlüsse ziehen, was man alles nicht weiß über das Land – von hier aus auch. Es ist viel passiert in der Zeit. Viele Klischees, die wir im Kopf hatten, mußten wir revidieren. An einem Tag sind wir auf einem nicht offiziellen Programmpunkt in eine große Plakatmalerei, wo diese Riesentransparente mit diesen pathetischen Menschen drauf früher gemalt worden sind. Mittlerweile werden dort Toyota-Reklamen, Mitsubishi-Reklamen, Coca-Cola und alles das, was man denkt, was man vom Westen her unbedingt braucht, gemalt. Es ist alles etwas anders geworden, aber in einer Ecke von dieser Werkstatt stand ein Bild rum mit dem Gesicht zur Wand, in Öl gemalt, mit einer Landvermesserin. Die Dame war mir auf Anhieb sympathisch, und man hat mir das Bild dann geschenkt. Ich habe es mit nach Hause genommen. Es hängt jetzt rechts von mir neben dem Schreibtisch, und die guckt mir ständig über die Schulter, wenn ich etwas mache, und wir haben ein gutes Verhältnis miteinander..."

Wolfgang Niedecken auf einem Konzert in der Berliner "Deutschlandhalle" am 2.9.1988

Shanghai
Von der LP "Da Capo", 1988

Luhrs övver ming Schulter - su kütt et mir vüür. Ich kenn dich sick Shanghai, weiß kaum jet vun dir. Du stunds zwesche Färvpött, Schablone un Lackpinsele römm, jemohlt op en Leinwand, vüür Johre verjesse, verstöbb un doch schön. Shanghai, Shanghai-Sheraton – hinger Großkotzfassade uss Marmor, Glas un Beton. Shanghai: Klischee-Endstation, weil nix mieh jestemmp hätt ... op einmohl feel e Märchen vum Thron. Wöss janz jähn dinge Namen, wo du jetz bess un och – obwohl mer dat Dame nit frööch – ding Alter un sprööch jähn ding Sprooch. 't jööv vill zo verzälle, vun domohls vun jetz un vun dann, ob die Meßlatt jeschrumpf ess un: "Wo jing die Strooß ein'tlich lang?" Shanghai, Shanghai-Sheraton – hinger Großkotzfassade uss Marmor, Glas un Beton. Shanghai – Klischee-Endstation, wo ich völlig verwirrt woor, ...op einmohl total Konfusion.

Shanghai
Übersetzt von Chrischi 1998

Schaust über meine Schulter - so kommt es mir vor. Ich kenne dich seit Shanghai, weiß kaum etwas von dir. Du standst zwischen Farbpötten, Schablonen und Lackpinseln herum, gemalt auf eine Leinwand, vor Jahren vergessen, verstaubt und doch schön. Shanghai, Shanghai-Sheraton – hinter Großkotzfassaden aus Marmor, Glas und Beton. Shanghai: Klischee-Endstation, weil nichts mehr gestimmt hat ... auf einmal fiel ein Märchen vom Thron. Wüßte ganz gern deinen Namen, wo du jetzt bist und auch – obwohl man das Damen nicht fragt – dein Alter und spräche gerne deine Sprache. Es gäbe viel zu erzählen, von damals, von jetzt und von dann, ob die Meßlatte geschrumpft ist und: "Wo ging die Straße eigentlich lang?" Shanghai, Shanghai-Sheraton – hinter Großkotzfassaden aus Marmor, Glas und Beton. Shanghai – Klischee-Endstation, wo ich völlig verwirrt war, ...auf einmal totale Konfusion.