Bock auf Rock oder Der
alte Mann und die Stadt
Es ist passiert - nach all den Jahren wird über das Alter gesprochen. Bleibt
nicht aus, wenn man in den Spiegel blickt, sich im Publikum umsieht oder den
Wegbegleiter auf der Bühne betrachtet, der da ehrwürdig ergraut in die Saiten
greift. Um es vorweg zu nehmen: Was Wolfgang Niedecken am jenem 06.10. zum
Frühstück hatte, würde ich mir an manchem Tag auch wünschen. Ich jedenfalls war
nach den knapp 3,5 Stunden ziemlich platt, obwohl ich nur mitgefeiert und fast
20 Jahre weniger auf der Uhr habe…
Aber mal von vorne. Beim Blick auf die noch leere Bühne hat mich schwer
beeindruckt, dass man das Pier 2 in eine so zauberhafte Kulisse verwandeln kann.
Mit rotem Teppich auf den emporführenden Stufen, die uns im Laufe des Abends in
imaginäre Familienszenen und in filmische Untermalungen zu Songs und
Erinnerungen entführten, mit üppigem Blütenmeer und Palmengrün. Auf mich wirkte
das Bühnenbild gleichzeitig intim und weltoffen, fühlte mich sowohl persönlich
angesprochen als auch eingeladen, ein bisschen an den guten und schlechten
Jahren eines umtriebigen Lebens teilzuhaben. Ich muss gestehen, dass ich nur
wenig auf die Vorspann-Musik geachtet habe; es ist immer wieder schön, auf
altbekannte Gesichter zu treffen, sich über persönliche Erlebnisse
auszutauschen, um irgendwann beim „Weisste noch…?“ zu landen. Immer wieder ein
bisschen wie nach Hause kommen.
Pünktlich um Acht ging’s los und ich war froh, perfekt positioniert mittig in
der zweiten Reihe stehend (!) genügend Platz zum Zappeln zu haben - bei diesem
ersten Up tempo-Block konnte man doch nicht still stehen! Abkühlung erfolgte per
Gänsehaut mit dem Bläser-Intro zu „Diss Naach…“ - wie grandios, dass die Band um
das Gebläse erweitert wurde! Das etwas später folgende, von Wolfgang Niedecken
als Albtraum beschriebene „Bahnhofskino“ war sicher inhaltlich einer. Ich würde
den Song in diesem Rahmen als Aufführung bezeichnen; für mich ist das Stück
sowieso ein gesungenes Gemälde und hier kam nochmal eine Farbe dazu. Danach
folgte mein nächster Favorit: „Jupp“. Von Ulrich Rode mit berührender
Akustikgitarre eingeleitet und von Anne de Wolffs Cello weitergeführt, habe ich
diesen Song wieder genossen - und das Bremer Publikum offensichtlich auch. Ich
könnte noch Stück für Stück umschwärmen - wer die Setliste sieht, weiß ja, dass
es eine wirbelnde Mixtur aus Altem und Neuem, aus Klassikern, wichtigen
Botschaften, Nachdenklichem, Gefühlsduseleien, Mitsingern und Abtanzern zu hören
gab. Und da hat ja auch jeder seine eigenen Highlights. Mich hat trotzdem ein
Stück ganz besonders überrascht: „Verdamp lang her“ kam ungewohnt schnörkellos
daher und dabei erinnere ich mich an eine Aussage, dass die Combo „sich nicht
ständig selbst covern“ will. Nach doch einigen Wechseln in der Band und den -
wie ich finde gelungenen - Versuchen, das Stück neu zu erfinden, habe ich mich
aber doch über die ziemlich klassische Version gefreut. Mag sein, dass sich hier
ein Kreis schließt: Mich hat dies hier besonders berührt und vielleicht liegt
das auch am Altern und an der größer werdenden Erlebnisbandbreite.
Nach dreieinhalb Stunden üppigem Klangteppich, großem Kino und einem lautstark
mitgesungenen „Jraaduss“ ziehe ich das Fazit, dass die Bremer und die
Angereisten der Band einen festen Sockel geboten haben und den Abschiedsworten
des Chefs konnte man entnehmen, dass das da oben auf der Bühne auch so
angekommen ist. Es ist eine Wohltat, dass es weitergeht und natürlich empfehlen
wir die Kapelle weiter!
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