Oh, Du Cologne!
Schon seit über 20 Jahren zählt BAP zu
meinen Lieblingsgruppen welche in deutscher Sprache singen. Gleich zwei Sätze zu
Beginn. Oft wenn ich das sage heißt es: „Mit dem Dialekt versteht man ja die
Texte nicht“. Früher wusste ich keine Antwort darauf, heute sage ich trocken zu
der jeweiligen Person „verstehst Du die Texte von Bands die auf englisch
singen?“ Wenn man das nur „so hört“ ist es ähnlich. Im Jahre 2006 erschien das
Buch „BAP – Die Songs 1976 – 2006“ worin alle Texte mit hochdeutschen
Übersetzungen abgedruckt sind, mittlerweile reicht sogar der Klick auf die
Website. Aber schon zuvor gab es in den Albumcovern ein paar spezielle Worte
unter dem Text übersetzt. So konnte ich mir schon vorher Stück für Stück
Begriffe aneignen, ohne behaupten zu wollen alles zu verstehen oder gar den
Dialekt sprechen zu können. (Es ist ja auch eine eher „generelle“ Form des
Kölschdialektes der ja dann hier und da auch nochmal abweicht.)
Zweitens: Letztes Jahr vor einem Konzert in der Stuttgartere Liederhalle habe
ich ein Gespräch zweier Leute mitbekommen. Es begann mit den Worten das einer
der beiden meinte das er 2022 in der großen Halle des Komplexes zu BAP gehen
würde. Innerlich habe ich 10 runtergezählt und natürlich fiel folgender Satz der
anderen Person: „Die habe ich früher gesehen, sogar mit dem
Gründungsgitarristen, dem ‚Major‘ …“ Ich war schon kurz davor meinen Senf
dazuzugeben, aber mittlerweile denke ich mir das dies eh nix bringt. Nicht nur
weil Klaus „Major“ Heuser nicht Gründingsmitglied war, er kam 1980 in eine Band
die schon 1976 gegründet wurde, sondern auch weil viele Leute vergessen das
Major und Niedecken mittlerweile musikalisch auf ganz anderen Planeten wohnen.
Vor allem nach dem Lesen von Niedeckens Biographie „Für `ne Moment“ wurde mir
das klar. In Kurzform: Als das „Zwesche Salzjebäck un Bier“ Album 1984
kommerziell nicht an die Vorgängeralben herrankam schlug Major einen Kurswechsel
vor um für das 1986 „Ahl Männer, aalglatt“ Albums nicht nur Queens Produzenten
Reinhold Mack anheuerten sondern auch einen extrem chartsorientierten 80er Jahre
Sound anstrebten. Die Band verfiel in zwei Lager. Niedecken veröffentlichte 1987
als „Wolfgang Niedecken & Complizen“ das Werk „Schlagzeiten“ welches zum
Großteil die abgelehnten Liedern für „Ahl Männer“, vor allem „Nie mit Aljebra“
ist zu nennen. Beide Werke zusammen machen viel mehr Sinn und man kann hören in
welche Richtungen die Gruppe BAP zerfiel. Major wollte sogar von Kölsch auf
Hochdeutsch wechseln. Als er ein paar Alben der Gruppe Brings in den 90ern
produzierte kann man hören in welche Richtung gegangen wäre da die Band dort
teils in hochdeutsch und teils in Kölsch singt. Trotzdem betont Niedecken das
BAP ohne Major nie die ROCKband geworden wären. Doch die lyrische und
musikalisch experimentierende Seite blieb auf der Strecke. Für das Best Of Album
„Wahnsinn – Die Hits 79 – 95“ wurden gar „Rita, mir zwei“ (1999 auf „Tonfilm“
veröffentlicht) und „Triptychon“ (auf der LP Version des „Övverall“ Live Albums
von 2002 bzw auf der Wiederveröffentlichung von des 2001er „Aff un zo“ Albums,
aus dessen Sessions es stammt, zu finden) abgelehnt während „Lass se doch reden“
draufkam und Niedecken darauf wutentbrannt einen Schlagertext zur Musik von „Ich
danz mer Dir“. Auch wenn das letzte Werk mit Major, „Comics & Pin-Ups“ von 1999,
eines meiner Lieblingsalben der Band ist, es war auch mein Einstieg, war die
Trennung danach richtig. Wenn man die Karriere von BAP danach verfolgt und die
Scheuklappen ablegt und nur die Rockseite erwartet wird man mit einigen richtig
tollen Alben belohnt. Die letzten zwei, „Lebenslänglich“ (2016) und das aktuelle
„Alles fließt“ (2020) gehören meiner Meinung nach zu den besten Dingen der
Gruppe. Für mich ist Wolfgang Niedecken eh immer der Kopf der Babd gewesen. Die
ersten beiden Alben wurden gar unter dem Namen „Wolfgang Niedecken’s BAP“
veröffentlicht und seit 2016 firmiert die Band unter „Niedecken’s BAP“, auch
weil die Besetzung über die Jahre sich immer mal wieder geändert hat. Wenn man
die satirischen Texte des Debüts mal wegnimmt und dem ganzen eine Prise Rock
dazugibt kann man ganz grob sagen das die Musik von BAP wieder zur Einstellung
des Debüts, Musik machen ohne kommerziellen Druck, zurückgekehrt.
Als ich nach dem Genesis Konzert in Liverpool Mut fasste für das Jahr 2022
Tickets für Konzerte zu buchen sah ich das in meinem ersten Urlaub das
Geburtstagskonzert von Wolfgang Niedecken am 30.03., er wurde 71, in der Kölner
Lanxess Arena stattfinden würde. Man plante zuerst ein Konzert für seinen 70.
Geburtstag im Jahr 2021, doch aus bekannten Gründen wurde daraus nichts und so
nannte man diesen Abend „Jeboodsdaachspogo - Niedecken feiert 70 & 1“. Nachdem
ich also Mitte März schon bei Genesis in der gleichen Halle zugange war ging es
Ende März, am Konzerttag, wieder nach Köln. Dieses Mal hing ich aber ein paar
Tage Aufenthalt an das Konzert an. 2020 verbrachte ich zuletzt einen Tag in Köln
und konnte auch zum ersten Mal die Südstadt, wo Niedecken aufwuchs, besuchen.
Aber ein Tagesausflug heißt auch das es für ein oder zwei Kölsch im für BAP so
wichtigen Chlodwigeck nicht ausreichen würde. Dieses Mal würde ich nicht nur das
nachholen sondern auch wirklich einen Tag in der Gegend verbringen um die
Umgebung nochmal auf mich wirken zu lassen. Daher möchte ich hier keinen reinen
Konzertbericht bieten sondern auch über diesen Tag einen Einschub bringen.
Die Besetzung von BAP besteht neben Wolfgang Niedecken, als einzig verbleibendes
Gründungsmitglied, an diesem Abend aus: Werner Kopal (Bass, seit 1996 dabei,
außer einer Pause 2018 wo er krankheitlich ausfiel und durch Marius Goldhammer
vertreten wurde), Anne De Wolff (an Violine, Mandoline, Gitarre, Posaune und
„allem möglichen, Festes Mitglied seit 2014, schon seit 2006 regelmäßig als
Gästin dabei), Ulrich Rode (Gitarre, seit 2014 dabei), Sönke Reich (Schlagzeug,
seit 2016), Michael Nass (Keyboard, seit 1999). Plus eine seit 2018 auf Tour
begleitende, und nun auch auf „Alles Fliesst“ eingesetzte, Bläsergruppe: Axel
Müller (Saxophon), Franz Johannes Goltz (Posaune) und Christoph Moschberger
(Trompete).
Mein Sitzplatz war direkt an der Bühne, von vorne aus gesehen auf der rechten
Seite. Die Sicht war sehr gut. In Zeitungsberichten stand das die Arena
ausverkauft war. Das mag sein, aber wenn dann hatte man den Oberrang ganz oben
genau gegenüber nicht verkauft. (Man sah aber trotzdem 3 Leute da sitzen)
Ansonsten war es voll. Der Sound war bei Genesis vielleicht besser aber trotzdem
für die LanxessArena gut bis sehr gut. Um 20 Uhr ging es nach einem kurzen
musikalischen Intro vom Band, Frank Sinatras „It Was A Very Good Year“, mit
„Hück ess sing Band en der Stadt“ vom 1999er „Comics & Pin-Ups“ Album passend
los. Passend deswegen weil der Text über die Kölner Sporthalle handelt welche um
die Zeit als der Text geschrieben wurde abgerissen wurde. In der Halle hatte
Niedecken 1966 sein erstes Konzert gesehen, die Rolling Stones. (Daher wurde auf
der 2001er Tour, nicht nur beim ersten Konzert der Gruppe in der KölnArena, bzw
jetzt Lanxess Arena, an den Titel das Stones Cover „Let’s Spend The Night
Together“ angehängt denn das war 1966 beim Konzert der aktuelle Hit.) Was mir an
BAP immer gefallen hat ist das sie in der entspannten kölschen Art Orte oder
Themen zu besingen ohne, in den meisten Fällen, zu platt daherzukommen. Das
haben sie vielen Acts aus der Rheinstadt vorraus.
„Jenau jesaat: Op odysee“ ist der erste von insgesamt acht Titeln des aktuellen
Albums „Alles fliesst“. Hier können die Bläser zum ersten Mal glänzen. Generell
haben sie auf dem neuen Werk ein paar Lieder wo das Trio super eingebunden
wurde. BAP mit Bläsern konnte ich mir erst nicht vorstellen doch es klingt sehr
gut, vor allem weil sie der Gruppe einen Schuss New Orleans/Dixielandsound
verpassen. Wo sie 1981 auf „Für usszeschnigge“ bei „Ens em Vertraue“ noch sehr
amateurhaft diesem Stil fröhnen, was trotzdem cool klingt, können sie das mit
den Bläsern nun viel professioneller umsetzten.
Der Aufwärmblock endete dann mit einer Strophe von „Wahnsinn“ (die Übersetzung
von dem Troggs Klassiker „Wild Thing“). Man lehnte sich an die Neuaufnahme für
das 95er Best Of Album „Wahnsinn – Die Hits 79 – 95“ an, welche mit den Hblocks
zusammen eingespielt wurde. Der Refrain endet mit den Worten: „Baby, do jommer
hin, janz unbedingt. Jawohl.“ Und wo gehen wir hin? Die Antwort folgte direkt:
„Ich jonn su unwahrscheinlich jähn Met dir enn der Waschsalon.“ Das nenne ich
mal eine tolle Kombination! Da man den „Waschsalon“ die letzten Tourneen über
eher weniger im Programm hatte wirkt er auch wieder richtig frisch im Sound. Von
ein paar Konzerten 2011 abgesehen hatte man den Titel nach 2007 erst wieder auf
der 2018er im Set dabei. Die zwei Lieder hatte man schon 2006 zusammen
kombiniert aber mit dem Arrangement von „Wahnsinn“ und dem Übergang zu
„Waschsalon“ gefällt mir diese Variante dann doch besser. (2006 kann man auf der
„Rockpalast 2006“ DVD aus der Lanxess Arena sehen.)
Niedecken begrüßte die Menge, inklusive auf die Bühne fliegenden Rosen,
sichtlich erfreut über das stattfinden des Konzertes. Er meinte das dies alles
eine Art Seiltanz ist, da Corona noch nicht vorbei ist und die Sache in der
Ukraine die Unbeschwertheit nicht gerade einfacher mache. Die Solidarität müsse
auch weitergehen und darf nicht nur auflodern. BAP war nie eine reine
Partyrockband. Ihre politische Haltung war klar, aber Niedecken hat es meistens
hinbekommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherzukommen. Er war nie jemand
der seine Meinung zurückgehalten hat und sich verbogen hatte. Dafür hat er
meinen Respekt. Außerdem bat er uns seine Sentimentalität nicht zu sehr zu
strapazieren da diese immer mehr abnehme je mehr Enkel er habe. Das Ständchen
welches aufkam hätte ich gerne mitgesungen doch es lies sich nicht eindeutig
vernehmen wann wer wo sang da man nur ein raunen hörte und daher nicht erkennbar
war wo man einsetzen sollte.
Für die nächste neue Nummer, „Volle Kraft vorraus“, meinte er trocken das er
sich extra dafür wieder ein Tamburin gekauft hat. Im Text ist die Rede von
„Seelenproviannt“ und er hoffe das die Musik und das Konzert das für uns genau
so seien wie es für die Band und ihnen seien. Der Name ist Programm und haut in
die gleiche Kerbe wie schon zuvor „Oysee“. Danach widmet er „Musik, die nit
stührt“ Tom Petersen. Mit ihm moderiert er einmal im Monat auf WDR4 die Sendung
„Songpoeten“ in der nur solche Musik liefe, da er sie sich aussuchen dürfe. Da
verzeihe ich ihm auch die Zeile „Zum eezte Mohl Phil Collins un Vun jetz aff
jede Veedelstund, ’ne Weichjespölte, dä kastratenartig singe kann“. Die Nummer
war zwar nie einer meiner Favoriten auf dem 2008er Radio Pandora Album aber es
war nett sie mal wieder live zu hören. (Musikalisch klingt sie im Übrigen SEHR
nach Bruce Springsteen in der Zeit von „The River“.)
Mit „Absurdistan“ hat sich sogar noch ein Lied vom „Lebenslänglich“ Album
eingeschlichen vor dem Wolfgang meinte das es Texte aus der Vergangenheit, egal
ob nah oder fern, gäbe die nicht mehr in die Zeit passen. Manche dafür, aus
positiven oder negativen Gründen, umso mehr. Und auch wenn diese Nummer erst
2016 veröffentlicht wurde merkt man jetzt schon das sie zur zweiten Kategorie
gehören wird.
Es folgt ein Doppelschlag aus „Zwesche Salzjebäck un Bier“ von 1984. Zuerst
kommt ein ebenfalls noch sehr aktueller Text in rockiger Gestalt von „Drei
Wünsche frei“, was perfekt zu den Bläsern passt. Im Anschluss darauf auch direkt
der Klassiker „Alexandra, nit nur do“ hinterher. Niedecken erklärte die
Inspiration als er in der Südstadt mit seinem Sohn im Kinderwagen sparzieren
ginge und eine Frau vernahm welche nach einer Alexdra rief. Wieder daheim
schrieb er den Text. Da „Alexandra“ einer der Klassiker war die auf der 2018er
Tour pausierten hatte ich schon damit gerechnet und mich auch sehr gefreut als
er begann. Am Ende gab es, wie 2016, ein kleines Schlagzeugsolo von Sönke Reich.
Das „Zwesche Salzjebäck un Bier“ Album ist vielleicht mein Favorit der
Frühphase. Vorgängeralben haben zwar individuelle Lieder welche mehr zu
Klassikern wurden aber „Salzjebäck“ beinhaltet neben den obrigen zwei Nummern
auch ein paar epischere Songs. Es ist das letzte Werk bei dem BAP damals
wirklich diesen Rockstil brachten. Niedecken sagt in den Interviews der
„Övverall“ DVD das sie mit „Aff un zo“ dort angeschlossen hatten wo sie nach
„Salzjebäck un Bier“ aufgehört hätten.
Der Akustikblock, 3 Lieder im sitzen, beginnt mit dem neuen „Für den Rest meines
Lebens“. Auf dem Album ist es ok doch im Konzert wirkt es viel besser. Generell
finde ich das die „neue“ Richtung von BAP eher weniger für die große Lanxess
Arena passt und mehr für die mittelgroßen Hallen geeignet ist. Bei den alten
Hits ist die Atmosphäre aber doch gesanglich sehr laut wenn man die Gruppe in
Köln sieht. Doch „Für den Rest meines Lebens“ ist ein Moment wo richtig gut an
die Stelle passt und glücklicherweise, was ich bei mir wahrnehmen konnte, keine
Unruhen entstanden. (Auch den Rest des Abends blieb dies so). Man konnte in die
Stille eintauchen und das wird bei den großen Hallenkonzerten, von Stadien will
ich garnicht erst anfangen, immer schwerer.
„Jraaduss“ enthielt ein tolles Solo von Christoph Moschberger am Flügelhorn und
auch in diesem Fall passte die Stimmung perfekt. Es war das erste Mal an dem
Abend das man hören konnte wie laut die Menge die Klassiker singen würde. Auch
wenn die Sitzplätze an der Seite ihrem Namen aller Ehren machten, es wurde kaum
gestanden, außer bei DEM einen Lied natürlich, so waren sie gesanglich doch voll
dabei. Hier gab es dann noch einen lustigen Moment. Als Major die Band verließ
ging mit ihm auch der damalige Keyboarder Axel „Effendi“ Büchel. Beim „großen
Mitsingen“ gegen Ende der Nummer rief Wolfgang nur „singt bitte laut für Effendi
der hier irgendwo sitzt“ und darauf winkt ein älterer Mann in der Reihe vor mir
und dort auch nur 2 Sitze mehr in Richtung Bühne.
Auch ist „Jraaduss“ das letzte Lied welches bereits vor dem ersten Album
geschrieben war. Auf „Affjetaut“ sind noch „Helfe kann Dir keiner“ und „Anna“
welche zum gleichen Zeitpunkt entstanden. Da man sich aber beim Debüt noch nicht
traute solche Texte zu veröffentlichen, da ging man noch mehr in die satirische
Liedermacher Ecke, blieben sie zunächst unter Verschluss.
Im Nachlesen der Anmerkungen im Booklet von „Für usszeschnigge“ fand ich aber
dann eine andere Sache die ich interessant finde. Dort beschreibt Wolfgang
Niedecken „Jraaduss“ als Lied der „noch nicht zur ad acta gelegten Rock-Operette
´Jan un Griet´ welche auf diese Art weiterhin schreibchenweise nach drausen
kommt.“ Interessant dabei ist dabei das er „Anna“ und „Häng de Fahn eruss“ (auch
auf „Affjetaut“ zu finden) die vorherigen Lieder daraus waren. Nicht nur das
„Häng de Fahn eruss“ (ein geradliniger Rocker im Stile von „Waschsalon“) in
dieser Liste steht, sondern das BAP eine Rock-Operette plante. Lustigerweise
sollten sie 1999 mit „Tonfilm“ nicht nur eine Art Konzeptalbum herrausbringen
sondern auch 2001 auf „Aff un zo“ die Fabel von Jan und Griet im Song „Die
Moritat vun Jan un Griet“ verarbeiten.
„Mittlerweile Josephine“ ist einer Tocher Jojo, wie er sie immer nennt,
gewidmet. Ein balladesker Titel der textlich, und passenderweiße auch
musikalisch, leicht an Springsteens „Independence Day“ erinnert, vor allem wenn
die Hammondorgel am Ende soliert. Und gerade als ich so in diesem Moment drin
war sehe ich zufällig Effendi wie er am Handy seine Nachrichten checkt. Keine
Ahnung was ich von dieser Geste halten soll, ich versuche es mal nicht zu hoch
zu hängen.
Und dann folgt der Song der für mich perfekt die Atmosphäre der Kölner Südstadt
einfängt, keine Ahnung warum es dieser ist aber „Jupp“ gehört zu meinen Top5 BAP
Songs. Vielleicht ist es musikalisch und textlich sogar meine Nummer 1. (Im
emotionalen Sinne ist es eher „Helfe kann Dir keiner“) Wie Niedecken die
Geschichte über einen alten Mannmit dieser melancholischen Musik illustriert ist
schon sehr speziell. Zu Beginn darf Ulrich Rode auch das Akustikintro spielen.
Danach sing zunächst er, Niedecken und Anne deWolff am Cello am musizieren. In
der Mitte folgt dann eine dramatische Pause, Sönke Reich marschierende Klänge
münden dann in ein bombastisches Finale. In den Jahren nach 2008 hatte ich die
Gruppe 6 Jahre lang nicht mehr live gesehen war aber ab der 2014er Tour bei
jeder Tour einmal dabei. „Jupp“ war immer dabei und stets ein Highlight.
Doch es mal IN Köln live zu hören war etwas besonders. Vor allem weil die Halle
diesen Albumklassiker, ein Hit war es nie, viel lauter mitgesungen hat als ich
es erwartet hatte.
Bei diesem Lied möchte ich die Erklärung aus dem „Für usszeschnigge“ Album
zitieren:
„Sitze frühstückend im Chlodwigeck. Außer mir, meinem Hund und der Bedienung
sitzt noch ein Penner an der Theke. Offensichtlich einer der Jungs, die man aus
irgendwelchen obskuren Resozialisierungsgründen morgens um sieben aus dem
benachbarten Männerübernachtungsheim „Johannishas“ vor die Tür setzt. Er bemüht
sich, pausenlos englische Wortfetzen in ein zahnloses, kölsches Genuschel
einflechtend, mit dem Typ hinterm Tresen ins Gespräch zu kommen, wobei er jedoch
aufläuft. Es vergeht einige Zeit, bis er das gecheckt hat, von seinem Hocker
steigt und an meinem Tisch vorbei in Richtung Klo schlurft, wobei ihm
schließlich mein Hund auffällt, dessen Rassenzugehörigkeit sich (cum grano
salis) irgendwo zwischen Känguruh und Wüstenfuchs einpendelt. Eine Chance für
ein kleines Schwätzchen witternd, bleibt er natürlich prompt stehen und verrät
mit einer Stimme, neben der die von Lee Hazelwood und Bruce Low zu
Eunuchengezwitscher verblassen würde: `Der Schäferhund ist der beste Freund des
Mannes. Mir hat in Alaska mal einer das Leben gerettet´.“
(Dieses Beispiel der Erläuterungen zeigt das man nicht nur den Gedankengang vom
Textschreiber mitbekommt, nein, man kann sich trotzdem noch seine eigene
Geschichte daraus basteln.)
In einem Interview zu den Tourproben in Celle wurde Wolfgang Niedecken gefragt
ob die Setlist nur von ihm erstellt würde. Er verneinte, jeder bringe Vorschläge
ein und dann wird aussortiert. Er selbst wollte „Jupp“ eigentlich erst einmotten
darauf meinten die anderen das er bloß im Set bleiben soll. Richtig so!
Wer sich das Chlodwigeck heute anschauen will, sie ist in einer Seitenstraße
neben dem Chlodwigplatz. Dort ist sie, laut einem Mitarbeiter, schon Ende der
80er Jahre hingezogen. Als ich eintrat war ich überrascht WIE klein das
Chlodwigeck ist. Essen gibt es übrigens nicht. Man darf aber mitgebrachtes dort
verzehren. Der Mitarbeiter meinte auch das die Kneipe nach dem Konzert voll war.
Das hatte ich auch vermutet und auch ich spielte kurz mit dem Gedanken,
entschied mich aber dagegen. Nicht nur bin ich nicht so der Fan von vollen
Kneipen, vor allem der Lautstärkepegel wenn alle durcheinanderreden, sondern
nutze ich die Zeit danach eher um das Erlebte „arbeiten“ zu lassen.
Im Chlodwigeck hängt übrigens eine CD vom Debütalbum „Rockt andere kölsche
Leeder“
Neben der Musik mag ich auch viele der Geschichten über die Niedecken singt.
Weil ich über die Jahre immer mal wieder in Köln war hat man zwar Bilder der
Stadt im Kopf aber eben nicht genau von dem Ort. Auch am Stollwerck, welches
früher Schokolade produziert hatte und in BAPs Anfangszeiten mehrfach hätte
abgerissen werden sollen nachdem die Produktion dort wegging, bin ich kurz
vorbei. Heute ist es ein weiteres von vielen kleinen, aber feinen,
Kulturangeboten in der Kölner Kulturlandschaft. Aus Protest entstand damals für
das 1980er Album „...Affjetaut“ (von dem an diesem Abend KEIN Lied gespielt
wurde) das „Stollwerck Leed“. Das mit der Schokolade hatte ich garnicht mehr auf
dem Schirm und so war es ein angenehmer Zufall das ich vor dem Südstadtbesuch
einen „Zwischenstopp“ im Schokoladenmuseum machte wo auch dieser Werdegang
nachgezeichnet wird.
Es gibt ja viele Angebote in großen Städten Führungen zu Punkten bekannter Bands
zu machen. Vor allem Liverpool mit seinen Beatlesschauplätzen sei hier natürlich
genannt. So toll ich das Angebot auch finde, so sehr stellt es das echte Leben
dort (bestes Beispiel „Penny Lane“) gegen ein „lebendes Museum“ gegenüber. Auf
der Beatles Bustour „Penny Lane“ zu hören, in dem Moment als man durch die
Straße fährt und die darin besungenen Punkte sieht, wirkt eher surreal. (Im
Positiven Sinne, aber die Personen dort leben ja einen Alltag). Extremstes
Beispiel ist natürlich der Zebrastreifen vor Londons Abbey Road Studios. Da man
dort keine Ampel stehen hat sind die Autofahrer in ständigem „Austausch“ mit
Touristen die sich auf dem Zebrastreifen fotografieren lassen. Und ja, ich habe
das auch getan, aber nach einer Bilderstrecke war ich fertig. (Und das war dann
auch so ein Moment wo mir vor Augen geführt wurde das es KEIN Museum ist)
In der Kölner Südstadt ist einfach das normale Leben. Wenn man normal
durchsparziert, sich das Treiben am Chlodwigplatz anschaut und sich BAP Songs,
gerade aus der Frühzeit, vorstellt dann passt das perfekt ohne sich wie in einem
Museum vorzukommen.
Aber egal um welche Band es sich handelt, neben dem „den Punkt über den gesungen
mal in echt zu sehen“ Effekt steht für mich etwas anderes im Vordergrund: Wenn
man ein Lied über einen Ort hört, sich ein Bild davon mache und dann das Echte
sieht dann vermischt sich nicht nur der fiktive Platz mit der Wirklichkeit
sondern man setzt es in den Kontext mit der eigenen Stadt und entdeckt dort
Dinge auf die man nicht gekommen wäre. Oder anders gesagt, wenn sie es nicht
schon vorher waren, sind die Texte nicht nur über „Niedeckens Stadt“ sondern,
und das finde ich noch wertvoller, erzählen einem über die eigene Herkunft.
Viele der Charaktere in den BAP Texten stammen zwar aus dieser Stadt, doch man
trifft sie überall.
Am Tag nach dem Konzert habe ich mich dann, wie schon eingangs erwähnt, in die
Köler Südstadt begeben und die Atmosphäre auf mich Wirken lassen. Gleichzeitig
war ich froh 2020 schon mal dort gewesen zu sein denn ich bin ja dieses Mal erst
am Konzerttag angereist und hätte diese Bilder noch nicht im Kopf gehabt.
Folgedessen hätten Lieder wie „Jupp“ lange nicht so gewirkt wie es taten. Von
der Arena bis zum Start der Severinstraße, der langen Einkaufsmeile welche am
Chlodwigplatz, den Niedecken immer als „Nabel der Welt“ bezeichnet, dauert es
zwar ein bisschen doch wenn man es gemütlich angehen lässt und das Rheinufer mit
einbezieht dann ist das nicht nur eine BAP-Reise durch Köln sondern man merkt
auch die Unterschiede zu den anderen Acts. So sehr die Band diese gewisse
kölsche Art in sich trägt so deutlich anders, viel mehr in Richtung
amerikanischen Rock der 60er und 70er, sind sie musikalisch und vor allem
textlich angesiedelt.
Auch bin ich froh das die Lieder über Fußball in einer kleinen Unterzahl sind.
Meine Liebe für diesen Sport ist nie extrem groß gewesen, selbst wenn ich die
Leidenschaft für ein Thema und die Zusammenkunft der Leute für eine Sache
verstehe. Wenn es aber ein Lied gibt das auch den Fußball mit zum Thema hat das
ich mag dann ist es “Nix wie bessher”, welches Steffen Baumgart, aktueller
Trainer des 1. FC Köln, gewidmet wurde. Doch ist der Text viel mehr. Es ist ein
Tribut an die Kindheit in der Fußball auf den Straßen gespielt wurde und auch
werden Personen und Orte besungen aus einer Zeit die lange her ist. Untermalt
mit einer sehr melancholisch beschwinkten Musik hat die Nummer doch viel Power
um live ein Highlight zu sein. Im Konzert war es bis dahin der größe
“Euphorieausbruch” im Publikum. Es sollte der Anfang eines langen Partyblocks
werden.
Mit dem “Müsli Män” kam die nächste Überraschung. Zuletzt war der Song 2007 im
Set. Als ich BAP zum ersten Mal, in St. Wendel 2000, live sehen durfte hatte man
die damalige “Schrank Version” vom 1999er “Tonfilm” Album gespielt. Ich schätze
diese Version, wie das gesamte Album SEHR. Es war aber auch toll nun die
Originalversion zu bekommen. Meine Lieblingsstelle davon ist wenn es am Ende
heißt “da steht der Müsli Män als Punk!” und darauf die Band für ein paar
Schläge dem Punkrock fröhnt. Das ist zwar sehr kurz, aber ich finds extrem
lustig. Der Text ist eines der satirischen Sorte die aber mittlerweile fast
wieder zu aktuell klingen.
Auch zum Text von “Müsli Män” möchte ich die Erklärung im “Für Usszeschnigge”
Album sprechen lassen: “Frankfurt, Gegenbuchmesse, alles brechend voll mit
Menschen, die sich an Ständen knubbeln, an denen alles, was noch im weitesten
Sinne unter `alternativ und gedruckt´ fällt, feilgeboten wird. Das Ganze läuft,
über drei Etagen einer Art Jugendherberge verteilt, auch in dem Saal auf der
zweiten Etage, in dem wir am Abend spielen sollen. Aus eben diesem Grunde können
wir unsere Anlage auch nicht auf dem kürzesten Weg auf die Bühne schaffen,
sondern müssen uns, auf Umwegen durch lange, enge Gänge, über steile,
verwinkelte Treppen, an unsere spätere Wirkungsstätte heranmanövrieren. Dies tun
wir dann auch, unter Zuziehung diverser blauer Flecken, sowie erheblichem
Schweißverlust, bis wir dann nach etwa anderthalb bis zwei Stunden unseren
Krempel da haben, wo wir ihn nur noch aufbauen müssen. Wir setzen uns erst mal –
völlig außer Atem – an den Bühnenrand um was zu trinken, als wir von einem Typ,
der uns die ganze Zeit über von seinem Stand aus beobachtet hatten, folgenden
Kernsatz zu hören kriegen: ´Ein Kofferverstärker hätte es ja auch getan.´”
„Huh die Jläser, huh die Tasse“ war die erste Single von „Alles fließt“.
Ursprünglich war etwas anderes geplant aber in der Coronasituation fand man den
Text angebrachter. Zum Glück entstand der Text schon vor Corona. Das lässt ihn,
zumindest gefühlt, nicht aufgesetzt klingen. Auch wenn die Logistikbranche, in
der ich arbeite, im Text nicht direkt erwähnt wird fühle ich mich trotzdem
angesprochen, da ich, auch zum Glück, meinen Job weiter normal ausüben konnte
und die Einschnitte nicht so hart gespürt habe wie viele andere. Trotzdem ist
die Nummer einer derer die mir dann doch ein bisschen zu platt daherkommen und
lustigerweise war „Huh die Jläser“ ein Lied bei dem ich dachte es würde live
viel besser funktionieren als es am Ende tat. Es hätte für Köln vom Sound
jedenfalls sehr gut gepasst. (Vielleicht doch ein bisschen aufgesetzt?). Oder
die Leute kennen es noch nicht so gut.
Wobei ich mich dann frage, das Album ist ja erst seit 1,5 Jahren draußen. Wenn
Leute ins Konzert gehen und, wie vorm Einlass passiert, sagen „die neuen kenn
ich nicht“, muss ich schon leicht grinsen. Es ist ja nicht so das die Songs erst
eine Woche vorher erschienen sind. Aber das ist, zugegeben, sehr subjektiv.
„Aff un zo“ funktionierte da schon besser. Ich hätte von dem Album zwar lieber
etwas anderes gehört aber es ist halt auch der „letzte große Hit“ von BAP und
darf auch deswegen nicht im Konzert fehlen.
In dieser Feierstimmung folgte dann ein ca 20 Minuten langer Block in dem Gäste
auf die Bühne kamen. Zu Springsteens „Hungry Heart“ (Niedecken stand mit Bruce
zu dessen Videoclip im Caffe Eckstein 1995 mit der „Leopaardefellband“ auf der
Bühne) kamen Thees Uhlmann und Ex-Schlagzeuger Jürgen Zöller auf die Bühne.
Zöller war davor erst 1x, 2018 in Mannheim, als Gast bei einem Lied dabei. Das
war auch mein letztes Konzert vor diesem. Man merkt das Zöller aus privaten
Gründen die Band verlies denn die Freude wenn er mit BAP spielt ist immer noch
da. Die meisten anderen Bandglieder gingen eher wegen musikalischen Differenzen
und, vielleicht wäre die 2005 verstorbene Percussionistin Sheryl Hackett noch
eine Ausnahme gewesen, das Zöller als einziger seitdem wieder als Gast mal auf
die Bühne ist zeigt das BAP keine Nostalgiegruppe ist. Es macht aber auch
deutlich das Niedecken eine Mission vom Sound hat. Die Musik stammte über die
Jahre immer zu einem großen Teil von den Mitmusikern aber wenn es sich zu sehr
wegentwickelt von der „BAP DNA“ kann ich mir vorstellen das sich das nicht so
gut mit Niedeckens Idee verträgt.
Kunst dann doch nicht immer Demokratie und „Friede, Freude, Eierkuchen“. Gerade
in Interviews mit Major Heuser, oder auch Helmut Krumminga (Majors Nachfolger an
der Gitarre) merkt man dies. Major hat zu allen Ex Bap-Mitgliedern noch Kontakt,
außer zu Niedecken und in einem 1 Stündigen Gespräch mit Frank Laufenberg wird
die BAP Phase auch eher angerissen als intenstiv drauf eingegangen, andere Bands
kommen besser weg. (Ich kann die Sichtweise aller Parteien verstehen)
Zu Zöller sei noch gesagt das ich zwar nicht erschrack wie alt er aussah, er
wird immerhin dieses Jahr 75, aber irgenwie gab mir sein Anblick ein bisschen zu
denken. Vielleicht war es aber auch nur ein „die Zeit macht vor keinem Halt“
Moment.
Vor dem Beginn von „Hungry Hear“ erzählte Niedecken wie er 1999 genau in dieser
Halle mit Bruce zusammen diesen Klassiker sang und Gänsehaut bekam als
Schlagzeuger Max Weinberg ganz lässig den Break am Anfang spielte, nicht ohne
anschließend anzumerken „aber das war Max Weinberg, wir haben heute Jürgen
Zöller!“
Bei „Jebootsdaachspogo“ blieb Uhlmann auf der Bühne und sang eine extra
geschriebene Strophe am Anfang alleine. Er scherzte auch das wenn er, und alle
in der Arena, je ein Jahr von unserem Leben abgeben würden dann würde Niedecken
12.000 Jahre alt werden.
„Jebootsdaachspogo“ erschien ursprünglich 1994 auf dem Sampler „Pänz un Bänds un
Rock un Roll“ und ist auf der Wiederveröffentlichung des 1996er „Amerika“ Albums
auf der Bonus CD enthalten. Schon 2018 war der Titel in der Setlist vertreten.
An diesem Abend war klar das er nicht fehlen durfte. Am Ende kamen die Crew
sowie Niedeckens Frau auf die Bühne. Es gab Luftballons welche an die Decke
flogen, einen Kuchen und das Ausblasen der Kerzen sowie ein weiteres (wieder
nicht ganz eindeutiges klingendes) Ständchen durften nicht fehlen.
Danach machte man mit Mike Hertig weiter. Der Pianist war, und ist, mit
Niedecken auf dessen „Dylanlesereise“ auf Tour. Kurz vor dem Konzert in Köln
veröffentlichte man dieses Programm, im Studio eingespielt, auf dem Album „Dylan
Reise“. Zu zweit spielte man heute „Leopardefellhoot“, die kölsche Übersetzung
von Dylan’s „Leopard-Skin Pillbox Hat“. (Aus „Blonde On Blode“, 1996). Dieses
Lied war auch das Titellied für ein Album voller Dylanübersetzungen welches
Niedecken 1995 mit der Leopardefellband herrausbrachte. Darauf spielten neben
Musikern wie Schlagzeuger Betram Engel und Gitarrist Carl Carlton (beide bekannt
durch Peter Maffay und Udo Lindenberg) der noch in BAP spielende Keyboarder
„Effendi“ Büchel sowie der danach zur Band stoßende Saxophonist Jens Streifling.
(Er ist seit 2003 Mitglied bei den Höhnern)
Mit „Leopardefellhoot“ gab ein bisschen Zeit zum durchatmen und gleichzeitig
fiel es leicht aus dem Rahmen da es der einzige Song war wo nur zwei Leute auf
der Bühne standen.
Das „Halv su wild“ Album von 2011 ist von den neueren das welches mir am
wenigsten gefällt aber es war trotzdem nett ihn bei „All die Aureblecke“ als
Gast Clueso dabeizuhaben. Mit ihm sang er den Titel schon öfter zuvor.
(Auf dem „Lebenslänglich“ Album schrieb er sogar „Dä Herjott meint et joot met
mir“ nachdem er bei einem Cluesokonzert in Oberhausen als Gast dabei war.)
Der letzte Gast war dann Engländer Julian Dawson. Er spielte mit BAP schon auf
ihrer „X für ´e U“ Tour 1990/1991, man kann ihm auf dem Livealbum „Affrocke!“
hören. Zusammen, nun wieder mit Band, spielte man eine wirklich tolle Version
des Dylan/The Band Klassikers „You Ain’t Going Nowhere“. Von den Liedern in
diesem Block war das mit Abstand mein Favorit. Auch wenn Dawson nicht mehr in
England sondern in Südfrankreich. Ein kurzes „F...ck Brexit!“ lies er sich am
Ende der Performance nicht nehmen. Die längere Spielzeit an diesem Abend ist vor
allem durch diese 5 Lieder „geschuldet“. Auch wenn ich beim Kartenkauf wusste
das es ein Geburstagskonzert ist und Gäste nicht auszuschließen waren hatte ich
gehofft das es sich in Grenzen hält und so war es auch. Als ich die Setlist nach
dem Konzert studiert hatte wurde ich bestätigt: Die 5 Lieder wurden an einer
Stelle eingefügt. Vom Restprogramm wurde zum Glück nichts dafür rausgenommen.
Der „F..ck Brexit“ Kommentar passte, wenn er auch so sicher nicht gedacht war,
als Überleitung zum letzten Teil des Hauptsets der, wie schon 2018, den
politischen Block bildete. Dabei lies Niedecken aber zum großen Teil die Musik
sprechen. „Ruhe vor’m Sturm“ war ursprünglich als erste Single vom neuen Album
geplant. Wenn man lange kein BAP Song mehr gehört hat und damit einsteigt wird
man sich wundern wie rockig der Sound ist. Die Nummer ist sehr getragen und es
macht sich schon fast ein Led Zeppelin Feeling breit. Ein neuer Klassiker? Ich
hoffe doch.
Einen alten Klassiker brachte man passenderweiße direkt in Gestalt von
„Kristallnaach“. Dessen Text ist leider immer noch extrem aktuell aber
musikalisch ist die Nummer immer noch beeindruckend im Aufbau zu hören. Wenn man
live dabei ist und sich alles steigert, das wird nie langweilig. Außerdem
enthält „Kristallnaach“ für mich eine Zeile die, für mich zumindest, den
Unterschied zwischen hochdeutsch und dialekt verdeutlicht. In der ersten Strophe
nachdem die Band am rocken ist lautet der hochdeutsche Text:
„In der Kirche, mit der Franz-Kafka-Uhr – Ohne Zeiger, mit Strichen nur – Liest
ein Blinder einem Tauben „Struwwelpeter vot, hinter dreifach verrigelter Tür“
(Die Übersetzung stammt aus dem Buch „BAP – Die Songs 1976-2006)
Ich kann mir den Text so gesungen zu der Musik zwar vorstellen, aber in Kölsch
gesungen wird der Text nicht nur noch kryptischer als er eh schon ist. Nein, er
lässt die Worte auch viel mehr fließen zum Rhythmus, es geht dann:
„Enn dä Kirch met dä Franz-Kafka Uhr – Ohne Zeijer, met Striche drop nur – lies
´ne Blinde ´nem Taube „Struwwelpeter“ vüür, hinger dreifach verrijelter Düür“.
Und gerade dieses „hinger dreifach verrijelter Düür“ klingt mit der Musik für
mich viel geiler als es die hochdeutsche Variante würde.
Seit der Tour zum „Lebenslänglich“ Album 2016 folgte darauf „Arsch huh, Zäng
ussenander“. Geschrieben für das „Arsch huh“ Konzert 1992 auf dem Chlodwigplatz
wo 100.000 Leute zusammenkam um friedlich gegen die wieder aufkommende
(zumindest aus Sicht der Nachrichten) Rechtsradikalität ein Zeichen zu setzen.
Wieder ein immer noch zu aktueller Text, nicht nur in diesem Zusammenhang. Der
Song ist eine straighte Rocknummer die mitreißend klingt. Mir hat der Titel
schon bei vorherigen Konzerten gefallen aber das die Arena an der Stelle SO
mitgeht und mitsingt, das hätte dann auch nicht gedacht. Es gibt Hits wo man es
ja fast „erwartet“, aber wenn mich das Publikum bei einem Lied geflashed hat
dann bei diesem.
Am Ende spielte man dann noch ein Lied welches zum ersten Mal auf dem 1983er
Livealbum „Bess demnähx“ veröffentlicht wurde – „Nemm´ mich met“. Das war auch
die erste Nummer die ich von BAP live gesehen hatte, 2000 in St. Wendel fing man
damit an. Auf dem „Tonfilm“ Album wurde der Titel dann auch mit einer
Studioversion bedacht. Man lehnte sich, abgesehen das man es rockiger spielte,
im Arrangement an diese Version und die Melodie welche Anne DeWolff an der
Violine spielt sang im Studio die Percussionistin Sheryl Hackett. In der Mitte
stellte Wolfgang Niedecken die Band vor und am Ende holten sich alle ihren mehr
als verdienten Applaus ab.
Die Stimmung war am kochen und ich war sehr positiv überrascht das die Halle in
der kurzen Zugabenpause „oh, wie ist das schön“ begonnen hat zu singen. Das gibt
es nicht mehr so oft.
Zu Beginn des ersten Zugabenblocks gab es eine Überraschung: Das 1999 zuletzt
gespielte „Wenn et Bedde sich lohne däät“, von „Vun drinne noh drusse“ (1982).
Auch wenn es eines ihrer schnellen Liedern ist merkt man dann doch das durch das
lange aus dem Set lassen die Nummer nicht zu zündete. Aber trotzdem eine tolle
Wahl.
Das Gleiche gilt für „Jeisterfahrer“, nur das dies vom neuen Werk stammt. Die
Position fand ich ein bisschen seltsam gewählt, musikalisch und textlich mag ich
den Song sehr. Ich hoffe nur das er nicht aus dem Set fliegt und man ihn
vielleicht mit einem anderen Lied in der Reihenfolgt tauscht. Zum neuen Album
hatte man eine Art „Buch“ veröffentlicht, mit allen Texten und Anekdoten dazu.
Niedecken. Es ist eine tolle Sache mit vielen Fotos und zusätzlichen Eindrücken
über das Album. Was mir daran auch sehr gut gefällt ist das die Lieder nicht in
der Reihenfolge der Abfolge beschrieben werden sondern zeitlich nach dem
schreiben der Texte sortiert sind. Von diesen Anekdoten möchte ich mich auf eine
Sache beschränken. Niedecken schrieb das er schon 1980 in „`Ne schöne Jrooß“
über Verblödung im Fernsehn und das in einer Zeit wo es noch den Sendeschluss
gab. „Jeisterfahrer“ trägt das Thema in die Gegenwart. Besser ist es jedenfalls
nicht geworden aber immerhin ist daraus ein toller Rocksong entstanden.
Doch das Ende des ersten Zugabenblocks brachte Stimmung wieder nach oben. Bevor
das Intro von „Verdamp lang her“ erklang meinte Niedecken das er hier
ausnahmsweise eine E-Gitarre spiele welche er zum 70. Geburstags geschenkt
bekam. Darauf waren die „heiligen drei Könige“ (Keith Richards, Ron Wood und Bob
Dylan) abgebildet. (Vor jedem Konzert gibt es das Ritual um den „Altar“ wo das
Bild der dreien vom LiveAid Konzert in Philadelphia 1985 abgebildet ist. Ihr
Auftritt war zwar grottig aber sie hielten die Fahne des Rock’n Roll hoch und
deswegen sei das Bild da drauf. Um sich daran zu erinnern sich bloß nicht zu
ernst zu nehmen).
Wenn die Leute ein Lied von BAP kennen dann ist es dieses und auch wenn ich
schade finde das viele erst hier richtig wach werden, und auch unser Block mal
aufsteht, so ist der Text, ein Gespräch zwischen Niedecken und dessen damals
schon verstorbenen Vater, immer noch klasse. Singt Niedecken im Studio, hier
jetzt nur in hochdeutsch geschrieben, „Hast fest geglaubt, dass wer im Himmel
auf dich wartet, ´Ich gönn es dir´, hab ich gesagt“ so singt er live schon seit
erscheinen der Nummer stets „ich gönn’ es dir Bap, hab ich gesagt“ (BAP ist
kölsch für „Papa“) und unterstreicht die Bedeutung damit nochmals.
Auch hier ist der musikalische Aufbau immer wieder spannend und dieser ständige
Spannungsaufbau bis dann irgendwann der Refrain einsetzt ist sehr effektiv. (Ich
würde mir nur wünschen das die Leute nicht gleich alles „zerklatschen“, bei
„Kristallnaach“ genauso … lasst die Spannung sich aufbauen, es wird schon
krachen!) Am Ende kamen, außer Mike Hertig, die Gäste nochmal auf die Bühne.
Auch wenn ich verstehe das zum Finale nochmal alle zurückkommen so hätte ich das
eher für ein später kommendes Lied gewünscht da genau dadurch bei „Verdamp lang
her“ doch kurz diese „Fetenhits“ Atmosphäre aufkam die ich dem Lied irgendwie
nicht so geben will.
„Verdamp lang her“ ist musikalisch vielleicht sogar DAS Lied welches Major
Heusers größter Verdienst ist. Er kam mit dem Riff um die Ecke, wer weiß was
sonst aus BAP geworden wäre?
Dieses Mal, das war aber weniger überraschend, sangen die Fans den Refrain von
"Verdamp lang her" bis die Band zurückkam.
Die zweite Zugabe startete mit „Do kanns zaubere“ wo die Leute viele
Handylichter hochhielten, was ein toller Anblick war. Da ich mein Handy während
eines Konzertes immer komplett auslasse genieße ich dann lieber passiv das Bild.
So kommt zumindest ein bisschen der Eindruck auf wie es früher in Zeiten von
Wunderkerzen gewesen sein muss. Auch „Zaubere“ ist so ein Lied was irgendwie
zeitlos klingt und keinen Staub angesetzt hat. Und so schön es ist in anderen
Städten die Leute Kölsch singen zu hören, in dieser Halle kommt das nochmal ganz
anders rüber.
„Ein Frauenname mit vier Buchstaben?“ fragt Niedecken. Früher war die Antwort
klar: „Anna“. Doch seit dem „Tonfilm“ Album gibt es „Rita, mir zwei“ und das hat
sich seitdem zu einem weiteren Dauerbrenner im Set entwickelt. Ich bin aber
ehrlich, „Anna“ wäre mir lieber gewesen. „Rita“ hätte für mich eine Pause
gebraucht. Dann schaue ich nach dem Konzert und sehe es hatte 2018 schon
ausgesetzt. Immerhin passt es musikalisch und textlich, es ist BAPS „Bobby Jean“
(Bruce Springsteen), gegen Ende des Konzertes von daher ist alles ok.
Das geilste an Niedeckens Ansage ist ja das mittlerweile die eine Häfte „Anna“
und die andere Hälfe „Rita“ ruft. (Auf dem „Dreimahl 10 Jahre“ Album hat man
„Anna“ in einer tollen Version neu eingespielt. So hatte die Band es auch 2016
im Set und da hätte es gerne noch bleiben dürfen.)
Und nach dem Konzert sehe ich einen Fan der ein, wohl selbstgemachtes, T-Shirt
trug auf dem stand „Männername miti vier Buchstaben? Jupp!“
„Maat et joot“ stammt vom „Schlagzeiten“ Album welches Niedecken mit den
Complizen einspielte. Es ist die schon oben erwähnte Ergänzung zum „Ahl Männer“
Album. Vor Beginn erzähle Wolfgang die kurz Geschichte wie er in der Türkei
campen war und eine Gruppe Dortmunder mit ihrem Camper dazukamen. An der Front
davon war ein einen Kuhschädel angebracht. Sie hatten keine Ahnung das es
Wolfgang Niedecken war mit dem sie hier einen gemütlichen Abend am Lagerfeuer
verbrachten. Als sie es am kommenden Morgen bemerkten hat sich eine Barriere
zwischen ihnen aufgebaut. (Ausführlicher beschreibt Niedecken den Abend in
seiner Autobiographie „Für `ne Moment“.)
Bei „Maat et joot“ hätte ich es auch passender gefunden wenn die Gäste nochmal
auf die Bühne gekommen wären. Aber auch so markierte es, vor dem mittlerweile
typisch ruhigen Ausklang, das Ende des Abends.
Nach einer Verbeugung, Michael Nass entpuppt sich als wahrer Entertainer,
spielte man noch ein Lied welches Wolfgang Niedecken für das neue Album auf
Kreta schrieb. Es ist die Stimmung des Sonnenuntergangs welche er in „Wenn ahm
Ende des Tages“ einfängt und auch wenn es nich ganz so hymnisch wie „Dir
allein“, vom „Aff un zo“ Album, klingt so reiht es sich doch in eine tolle Reihe
von Liedern dieser Art ein. (Ebenfalls aus dieser Kategorie „episches
Albumfinale) sei noch „Nie zo spät“ (von „Comics & Pin-Ups“) zu nennen). Das
Lied wurde visuell sehr geschmackvoll untermalt und war ein passender
Schlusspunkt. Da nehme ich auch in Kauf das man „Sendeschluss“, welches auf dem
ersten Konzert der Tour in Hannover den Abend beendete, aus dem Set flog. Dieses
Lied von „Zwesche Salzjebäck un Bier“ feierte auf der 2014er „BAP zieht den
Stecker“ Tour ein beeindruckendes Comeback. Da ich es dort schon sehen durfe
konnte ich es, als ich die anderen Setlisten laß, verschmerzen. Ich bin sowieso
ein Fan wenn man bei einer Tour zu einem neuen Album auch mit einem neuen Song
das Konzert beschließt.
Als der Titel zuende war gingen um 23:30 (!) die Hallenlichter an (zur Musik von
„Tumbling Dice“ der Rolling Stones). Das ist für BAP zwar nicht ungewöhnlich
doch normalerweiße pendelt es sich aber eher bei 3 Stunden bis 3 Stunden und 15
Minuten ein, was ja auch nicht viel kürzer ist. Es erstaunt mich immer wieder
das diese Band solche Marathonkonzerte spielt. Und das auch noch für einen
absolut akzeptabelen Preis. Wie schon nach Genesis zwei Wochen zuvor bin ich
zurück ins Hotel gelaufen und lies alles erst mal sacken. Nur mit dem
Unterschied das ich dieses Mal nicht am nächsten Morgen wieder heimfuhr sondern
in aller Ruhe zur oben beschriebenen Tour durch die Südstadt aufbrach.
In diesem, maat et joot BAP, vielen Dank un bess demnähx!
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