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Leverkusen, 10. November 2010
Forum - Leverkusener Jazztage

Fotos von wdr.de

Ein Bericht von Achim Kaemmerer

Swingende Zeitreise mit Wolfgang Niedecken mit WDR Big Band

„Denn mer sinn widder wer...“, dieser BAP-Titel hat es damals, kurz nach der Wiedervereinigung, nicht zur neuen Nationalhymne geschafft. Kein Wunder bei solchen Zeilen wie „...deutsch-besoffe vüür Glöck, keine Bleck mieh zoröck; Nur noch vörrahn, wie Panzer ...“. Jetzt aber, rund 20 Jahre später, darf Wolfgang Niedecken diesen Hit als einen von vielen „Deutschlandliedern“ bezeichnen – zumindest im Rahmen seines zweiten Musikprojektes mit der WDR Big Band. Nach 2004 hat er sich erneut mit dem Ensemble zusammen geschlossen, um vormals rockige BAP-Titel mit einem Blues- und Swing-Sound ganz neu zu arrangieren. Das Ergebnis präsentierten Niedecken, Chefdirigent Mike Herting und die Musiker nun im Forum bei den Leverkusener Jazztagen.
Bei der Auswahl fällt auf, dass es sich bei diesen „Deutschlandliedern“ vor allem um „Protestsongs“ (nennen wir es mal so) gegen die konservativ-liberale Klasse der 80er Jahre handelt. Sie dokumentieren ihren Zeitgeist, verschwanden aber mangels Aktualität nach und nach aus den Setlisten der nachfolgenden BAP-Tourneen. Umso größer war daher bei den treuen und altgedienten Fans die Euphorie, eben diese Klassiker endlich wieder live zu hören – wenn auch im ungewohnten Klangbild.
In den Lyrics von „Ahl Männer, aalglatt“ und „Drei Wünsch frei“ beschrieb Niedecken seine Angst vor dem „Rüstungsschwachsinn“ von rückwärtsgewandten Politikern. Das mag heute anachronistisch klingen – oder vielleicht doch nicht angesichts mancher politischer Entwicklungen im Nahen Osten?
Auch „Zehnter Juni“ stammt aus der Ära der Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss von 1982 und war deshalb irgendwann nicht mehr zeitgemäß. Doch da der Text sehr universal verfasst ist („Plant mich bloß nit bei üch ein … Ich hann met ührer Logik nix ahm Hoot…Sick einijer Zick weeden’t Daach für Daach mieh…“), lässt er sich ideal wieder für heutige Themen einsetzen – etwa die neue Protestwelle des deutschen Bürgertums gegen „Stuttgart 21“ oder den Castor-Transport (lediglich der Titel müsste dann mal geändert werden).
In „Deshalv spille mer he“ erläuterte Niedecken 1984 die Gründe für die BAP-Tournee durch die DDR und geizte dabei nicht mit Verbalattacken gegen die Obrigkeiten beider deutschen Staaten. Dieser Konflikt führte bekanntlich dazu, dass die Band eben nicht mehr dort „spille“ durfte und wurde ein Teil der nationalen Geschichtsschreibung. Daher eignet sich der Song nun, zur 20-Jahr-Feier der Einheit, wie eine aufgelebte Rückblende. Eigentlich nur folgerichtig, dass in der Setliste gleich darauf der Rückblick „Unger Linde enn Berlin“ folgt – unterstützt vom Lieblings-Dauergast Anne de Wolff, die an diesem Abend leider viel zu wenig zum Einsatz kam.
Kleine Überraschungen in der Titelauswahl hatten die Protagonisten ebenfalls parat: eine komplett umgekrempelte Neuauflage des „Blonden Mohikaners“, das von ganz tief unten ausgebuddelte „Nie met Aljebra“ (in diesen Kindheitserinnerungen lassen sich viele deutsche Nachkriegs-Historien entdecken) und der relativ unbekannte Bonustrack „17 Froore“ (vom „X für’e U“-Album).
„Arsch huh – Zäng ussenander“ reiht sich selbstverständlich auch in die Galerie der prägnanten „Deutschlandlieder“ ein – und brachte den Saal kurz vor Schluss noch einmal richtig zum Beben. Das konnte nur noch gesteigert werden durch die Swing-Version von „Verdamp lang her“. Das Publikum war in jedem Fall begeistert über diese Zeitreise und schwelgte voller Freude in Nostalgie. Ob es eine CD und sogar eine Tour zu diesem Programm geben wird, ist allerdings leider noch ungewiss..