"Dieses ist ein Stück ... zum Thema "deutsche ... Herrenmenschenmentalität". Das hängt sehr stark damit zusammen mit Rassismus, Gefühlen, die in "diesem unserem Land" anscheinend immer wieder eine Chance bekommen, dann, wenn man irgendwo eine neue Minderheit ausfindig gemacht hat, an der man’s ablassen kann. Ob das damals die Juden waren, ob das mittlerweile Türken, Schwule oder Asylanten sind, das macht eigentlich keinen großen Unterschied."

Wolfgang Niedecken auf einem Open-Air in Konstanz am 7.6.1986


"Eigentlich haben wir von Anfang an auf sämtlichen LP’s irgendwie Stücke gehabt, die etwas mit dem nächsten Thema zu tun haben. Auf der ersten LP war eins drauf, das hieß "Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg". Wir haben irgendwann ein Stück gemacht, das heißt "Kristallnaach" oder "Bahnhofskino". Und das hier ist eins, das heißt "Almanya". Das hängt damit zusammen, daß wir "in diesem unserem Lande" anscheinend mit diesem Thema – auch wenn man es ausweitet – über das mit den türkischen Leuten, die hier arbeiten, auch das Asylantenproblem und alles mögliche, was in die Richtung geht, anscheinend nicht mit "zu Potte" kommen. Wir haben eine sehr lange Tradition damit."

Wolfgang Niedecken auf dem Rockpalast-Konzert 1986 in der "Grugahalle" in Essen
 

 

Almanya
Von der LP "Ahl Männer, aalglatt", 1986

Uss Anatolien kohme, uss Kozan,
vüür circa fuffzehn Johr,
ahn'nem naßkahle Februar-Ohvend ahn.
Hä, dä nie wigger wohr
als bess Adana - usser domohls beim Militär,
als'e noh Trabzon moht, ahn't Schwaaze Meer.
"Almanya" heeß och do dat Zauberwoot,
doch eez drei Kinder späder kohme her.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – domohls wohrs du noch unbekannt.

En feuchte Bruchbuud un 'ne Tiefbaujob,
un immer ahm Eng vum Mohnd
die Überweisung heim un en Veedelstund
beim blonde Frollein, dat en dofür belohnt hätt.
Dausendundein Naach besse'se nohhollot,
sing Frau un sing Kinder, die en nimieh erkannt hann.
Jet späder dann die Frooch vum äldste Sonn,
wieso se'n en der Schull "Kanake" jenannt hann.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – domohls wohrs du noch unbekannt.

Et jing lang joot, trotz Sprüch un Hookenkrüzze,
die'e zo spät für voll nohm.
Die'e erkannt hätt als Ihßbirchspetze
eez wie'n dä Naach de "Schmier" kohm
un Ahmed braat, dä stolzer als Papa.
Blootöverströmt – et heeß, dä hätt
sechs junge Deutsche en der Bahn bedroht
– "grundlos" – met 'nem Stilett.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – domohls wohrs du noch unbekannt.

En Anatolien, en Kozan,
hann fünf entlossne Sklave
- erömmjeschubbste wieße "Nigger"
- 'ne Draum vum Märchenland bejravve.
Nä, dat kann wirklich keine Zofall sinn,
dat sich "Dichter un Denker"
su erschreckend joot reimt – immer noch
– op "Richter un Henker".

 

Almanya
Übersetzt von Chrischi 1998

Aus Anatolien kam er, aus Kozan,
vor circa fünfzehn Jahren,
an einem naßkalten Februarabend an.
Er, der nie weiter war
als bis Adana - außer damals beim Militär,
als er nach Trabzon mußte, an das Schwarze Meer.
"Almanya" hieß auch da das Zauberwort,
doch erst drei Kinder später kam er her.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – damals warst du noch unbekannt.

Eine feuchte Bruchbude und ein Tiefbaujob,
und immer am Ende vom Monat
die Überweisung heim und eine Viertelstunde
beim blonden Fräulein, daß ihn dafür belohnt hat.
Tausendundeine Nacht bis er sie nachholte,
seine Frau und seine Kinder, die ihn nicht mehr erkannt haben.
Etwas später dann die Frage vom ältesten Sohn,
wieso sie ihn in der Schule "Kanake" genannt haben.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – damals warst du noch unbekannt.

Es ging lange gut, trotz Sprüchen und Hakenkreuzen,
die er zu spät für voll nahm.
Die er erkannt hat als Eisbergspitze
erst wie in der Nacht die "Schmiere"(Polizei) kam
und Ahmed brachte, der stolzer als Papa.
Blutüberströmt – es hieß, er hätte
sechs junge Deutsche in der Bahn bedroht
– "grundlos" – mit einem Stilett.

Almanya – Traumziel, Märchenland.
Almanya – damals warst du noch unbekannt.

In Anatolien, in Kozan,
haben fünf entlassene Sklaven
- herumgeschubste weiße "Nigger"
- einen Traum vom Märchenland begraben.
Nein, das kann wirklich kein Zufall sein,
daß sich "Dichter und Denker"
so erschreckend gut reimt – immer noch
– auf "Richter und Henker".