News-Ecke

Song-Zeitreise zurück in das Jahr 1984 zu den Songs und Texten des
„Zwesche Salzjebäck un Bier“-Albums

ab 03.10.24: Nachdem am 25. Mai‘24 auch das „Zwesche Salzjebäck un Bier“-Album seinen 40. Veröffentlichungstag gefeiert hat, kann meine „Song-Zeitreise zurück in die Jahre 1981/82 zu den Songs und Texten der Alben „Für usszeschnigge“ und „Vun drinne noh drusse“ mit dem zweiten Teil „Song-Zeitreise zurück in das Jahr 84 fortgesetzt werden…

Hierzu zum Einstieg ein Mitschnitt der WDR3-Radiosendung mit dem Titel „Lebenszeichen: BAPs-Botschaft“ aus dem Jahr 1985, der insbesondere was Wolfgangs Texte betrifft sehr interessant ist und mit den Songs „Bahnhofskino“ und „Schloof Jung, joot!“ beginnt ….

 

 

"Zofall un 'e janz klei bessje Glöck"

„Der einzige reale Riff-Rocker im Sinne von STONES oder KINKS auf "Salzjebäck" ist die faszinierende Bildbeschreibung "Zofall un je ganz klei bessje Glöck". Ein Bild eines spanischen bildenden Künstlers diente Wolfgang hier ebenso als Inspirationsquelle, wie Bob Dylans schier diabolisches Melodram "Simple Twist of Fate" (1975), aus "Blood on the Tracks"). In vier Strophen, ohne Refrain, dargeboten zu drallen, dampfenden Gitarrenwällen mit viel gehetztem Bluesfeeling, erzählt Wolfgang eine surreal anmutende Novelle über einen verlassenen Mann, der mit seiner Geliebten Schluss gemacht hat, sich nicht eingestehen will, dass er doch viel mehr unter der abrupten Trennung leidet, als er sich und seiner Ex-Partnerin gegenüber eingestehen mag. Er ist "per Zofall" in derjenigen Stadt gelandet, in der er ihr damals Lebewohl gesagt hatte, er erkennt den Park wieder mit seinen Gerüchen nach Holunderbeeren und rekapituliert, wie seine große Liebe damals "wie eine Brücke gesprengt" wurde. Er irrt durch die Stadt, am Kanal entlang, sieht das Hotel, in dem sich die beiden einst vergnügten - und zerstritten. Zwischen Traum und Wirklichkeit geht die Story auf zwei Ebenen - Was erlebt sie gerade? Was er im selben Moment? - bis er sich am Schluss, in der letzten von vier mit famosen Formulierungen vollgepfropften Strophen, nachdem er das Hotelzimmer, in dem noch ein Brief von ihr zu liegen schien, verlassen und "nohm Hafen raff" gestrauchelt war, schwört, eben jene Frau zurückgewinnen zu wollen, doch dazu braucht er eben nur "nur 'ne Zofall un e janz klei' bessje Glöck, Mann..."

Aus der Album-Review auf der Homepage von "Deutsche Mugge"
 

Songtext

"Zofall un e janz klei 'bessje Glöck", 1984

 

 

"Schloof Jung, schloof joot"

"Und da ist die bange Frage an die Frau: Hat das Kind in dir wirklich nur eine Chance, wie eine Schneeflocke im August? Doch als das Kind dann geboren ist, überwiegt die Freude erst einmal alles andere ... Ein schönes Wiegenlied finde ich, schlicht und volksliedhaft, zumindest im Text. Ein anderes aus meiner Kindheit fällt mir dazu ein: "Schlaf, Kindlein, schlaf" und auch ein Abendlied: "Oh, du stille Nacht, kommst, eh wir`s gedacht, über die Berge weit, über die Berge weit. Gute Nacht!" 
In diesen beiden Liedern der jüngsten Platte von BAP klingen zwei Grundthemen an, die sich durch fast alle bisherigen Lieder Wolfgang Niedeckens hindurchziehen: Das persönliche Glück und die Bedrohung des Glücks durch die drohende Zerstörung dieser Welt. Hinzu kommt der Widerstand gegen die Zerstörung, der Wille sich zu wehren, sich mit anderen zusammenzuschließen, die Sehnsucht, aber auch die Wut, die in harten Rockrhythmen laut wird."

aus dem Mitschnitt der WDR3-Radiosendung mit dem Titel „Lebenszeichen: BAPs-Botschaft“ aus dem Jahr 1985
 

Songtext

-----

"Schloof, Jung, schloof joot.", 1984

 

 

"Drei Wünsch frei"

 

"Kein Wunder, dass Niedecken der Fee, die in "Drei Wünsch frei" aus der Bierdose aufsteigt, eine unverblümte Situationsschilderung abliefert, nicht aber seinen Wunsch verrät. Doch wenn er wortspielend die Kommerzialisierung anprangert »Do läuf jraad Werbung un dä Sprecher stöhnt, als jing ihm einer aff, dat Columbusei des Tages wööhr dä so'n' so Hoostesaff.« und über den Chor, »dä jet vun "Einigkeit und Freizeit" gröhlt.« als »Musik zur Jeisterstund« ätzt (für unsere jungen Leser: das Fernsehprogramm lief zu der Zeit noch nicht rund um die Uhr und zum Sendeschluss gegen Mitternacht wurde die Nationalhymne gespielt), die »Arbeitsplatzerhaltung en der Rüstungsindustrie« verurteilt und die 'Vorkriegszeit' des dritten Weltkriegs ausruft, dann braucht es nicht viel Phantasie, um seinen Wunsch zu erraten."

    aus der Album-Review des Magazins "Rocktimes"

Songtext

"Drei Wünsch frei", 1984

 


"Alexandra, nit nur do"

   

„Wo's in diesem Text drum geht, weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Ich glaube, angefangen hats mit einem Mädchen auf einem Fahrrad, das mir im Laufe eines Nachmittags mehrmals aufgefallen ist, weil es - anfangs noch ruhig, später immer aufgeregter - durch den Park fuhr und nach Alexandra rief. In der Abenddämmerung stand ich dann am Fenster und spielte dieses Spiel, bei dem man versucht, eine bestimmte, gerade erst in Sicht gekommenen Schneeflocke nicht mehr aus dem Blick zu verlieren und bis zum Boden zu verfolgen, wobei ich wiederum bemerkte, daß die Tage wieder länger werden.
So stand ich noch eine ganze Weile da und immer mehr Sachen gingen mir durch den Kopf, bis ich auf den Gedanken kam, sie in Verse zu fassen, am besten passend zu der Melodie, die mir jetzt schon seit paar Tagen nicht mehr aus dem Sinn gegangen war. Die Geschichte war ins Rollen gekommen, einiges nach Mitternacht hatte ich dieses Mosaik aus Bruchstücken durchlebter Situationen in einer sehr groben Fassung vor mir liegen, und je öfter ich's jetzt - ca. 2 Wochen später - beim Proben singe, desto klarer wird mir, was da wohl aus meinem Unterbewußtsein rauswollte: Von Einsamkeit durch Verlassensein ist da die Rede, davon, daß man meistens die Schuld dafür bei anderen und nicht bei sich selbst sucht, so wie sich beispielsweise die Ex-Partner gescheiterter Beziehungen zu oft so verhalten, als ob der jeweils andere bei allem, was er jemals getan und gelassen hat, nur aus purer Niedertracht gehandelt hat.
Jedes Fünkchen Verständnis füreinander scheint ausgelöscht, als hätte man niemals was füreinander empfunden, als würden alle Gemeinsamkeiten mit einem Schlag plötzlich nicht mehr existieren."

Wolfgang Niedecken im Beiheft zur "Zwesche Salzjebäck un Bier"-LP 1984

Songtext

Offizielles Song-Video,1985

In dem Video vom Musikmagazin „DIFFUS“ äußert sich Wolfgang Niedecken (ab Min. 2:17) auch zur Entstehungsgeschichte des „Alexandra, nit nur do“-Song-Videos

 

"Diss nach ess alles drin"

"Es ist eins über die ungeheuren exotischen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, die es so gibt für Jugendliche. Das ist ein Stück über einen blau-weißen Escort, über zwei Jungs, die damit durch die Gegend düsen und versuchen irgendwo etwas abgehen zu lassen."

Wolfgang Niedecken auf einem Open-Air in Konstanz am 7.6.1986

"Welche, die jung sind und nicht aalglatt, das sind die zwei Jungs, die rumfahren mit diesem Auto und meinen, auf der "Nord-Süd-Fahrt" in Köln oder auf irgendeiner Straße irgendwo anders, wo ähnliche Sachen abgehen können, da wäre der Blumenpott zu gewinnen, mit dem man durchhalten kann"

Wolfgang Niedecken auf dem Rockpalast-Konzert 1986 in der "Grugahalle" in Esse

Songtext

"Diss  Naach ess alles drin", 1984

 


"Jojo"

"Es gibt auch den von "Jojo" aus der zweiten Strophe. Dieses unfaßbare Schicksal von dem Deserteur. Den Mann habe ich kennengelernt. Das Stück ist ... nicht konstruiert. ... Die zweite Strophe ist leider absolut Realität. Das ist dem so passiert. Den habe ich kennengelernt während dem Zivildienst. Leider ist er mittlerweile tot. ... Der ist erst mal in der KP gewesen. Ist dann eingezogen worden, in ein Strafbataillon gekommen – vorderste Front. Ist dann übergelaufen, weil er gesagt hat: "Ich bin eigentlich Pazifist. Ich möchte vor allen Dingen nicht gegen meine Genossen kämpfen. Ist als Überläufer auch schlecht behandelt worden: Sofort nach Sibirien. War einer der letzten, der zurückgekommen ist nach 1954 und hat dann hier erleben müssen, wie es im Nachkriegsdeutschland "abging": Schnell das Parteibuch gewechselt und die Sache stimmte wieder. Der ist nie "zu Potte" gekommen. Hat immer das Beste gewollt, vollkommener Idealist, und hat einfach die schlechtesten Erfahrungen gemacht. Ein unfaßbares Schicksal!""

(Wolfgang Niedecken in der Sendung "Von Jupp, Jojo und unserem Globus" von 1985

Songtext

"Jojo" bei den Proben zur Hommage für Heinrich Böll, September 1985

 

 

"Deshalv spill mer he"

   

"Nun kommen wir zum dunkelsten Kapitel der Firma BAP. Und zwar ist das die Angelegenheit, wo wir uns vorgestellt hatten, wir gehen auf das Angebot ein, was man uns von der DDR gemacht hatte, daß wir eben eine Tour durch die DDR machen. Man hatte uns versprochen, wir könnten alles spielen, was wir spielen wollten. Das würde man uns auch schriftlich geben. Wir haben das geglaubt, und als ein Monat vorher der Vertrag ankam, sind wir komplett aus allen Wolken gefallen, weil da stand ein Passus drin – wörtlich zitiert jetzt: "Die Künstleragentur der DDR behält sich Programmänderungen vor." ... Daß wir uns darauf nicht einlassen konnten, daß haben wir kurz danach gemerkt als wir in der DDR waren für eine Fernsehsendung. Weil, aus dem was wir gemacht hatten, aus dem was wir gesagt hatten, soviel rausgeschnitten wurde, bis die Sendung ...dann lief. Das war dann etwas, woran wir erkennen konnten, daß wir wahrscheinlich eine total kastrierte Tournee gemacht hätten. ... Das wäre nicht das gewesen, was wir gewollt hätten. Wir wären damit den Leuten in den Rücken gefallen von der inoffiziellen Friedensbewegung, mit denen wir sehr viel am Hut haben. Viele haben hier das nicht verstanden, was wir gemacht haben, weil eben überall immer nur davon die Rede war, daß wir dieses "böse" Lied geschrieben haben und das war’s gar nicht. Dieses "böse" Lied war zuerst mal nur "heile, heile, Gänschen" und "Friede, Freude, Eierkuchen", von wegen, daß wir uns freuen da zu spielen, und nachdem die Sache mit dem Vertrag gelaufen war und die Sache mit dieser Fernsehsendung, haben wir uns gesagt: Leute, wir müssen uns in einem Stück definieren, sonst kriegen wir das hier nie hin!"

Wolfgang Niedecken auf einem Konzert in der Frankfurter Festhalle am 23. November'84
 

Songtext

-----

"Deshalv spill mer he", 1984

-----

Abgesagte DDR-Tour'84

-----

 


"Sendeschluß"

"Ursache für das Ding war einfach ein Brief, der gekommen war und ein Jahr lang ungeöffnet dagelegen hat, weil wir einfach keine Zeit hatten während der Tournee diese Post zu beantworten. Und als ich den Brief gelesen hatte, da wurde es mir "besser", weil genau dieser Abend dort drin beschrieben war, mit dieser Leere, wo die zuhause rumhängt und sich noch mal an die Heizung setzt und denkt, das bringt alles nichts mehr hier..."

Wolfgang Niedecken in der TV-Sendung "Bios Bahnhof" im Jahr 1984

Songtext

"Sendeschluß" bei "Bio's Bahnhof", 1984

 


"Bahnhofskino"

"Das hier ist eins, zu dem ich den Text geschrieben habe in so einer Nacht, in der mir aufgefallen war, daß ich besser jetzt mal langsam aufstehe, weil vor lauter Alpträumen sowieso nicht mehr groß an Schlafen zu denken war. Es sind unheimlich viele Angstvorstellungen aneinandergereiht mit Sachen, die ich mir irgendwo mal aufgeschrieben hatte, die mir viel bedeuteten. Als ich das Stück am nächsten Mittag fertig hatte, habe ich eigentlich überhaupt nichts kapiert – bis auf die letzte Strophe, die von diesem Fortschrittsbegriff handelt, den man uns unheimlich lange eingebleut hat. Eben dieser Fortschrittsbegriff, daß man sich an Zerstörung zu gewöhnen hat, dass unsere Flüsse umkippen, unsere Wälder sterben ... und, dass wenn wahrscheinlich demnächst jemand kommt und uns sagt, wir müssen die Gasmaske aufziehen, wenn wir aus dem Haus gehen – dann ist das wahrscheinlich auch normal!"

(W.N. auf einem Konzert in der Frankfurter Festhalle am 23. November'84)

Songtext

"Bahnhofskino", 1984

"Bahnhofskino", 1986

Das ist übrigens der Songtext, für den bei der Facebook-Songtexte-Umfrage
am meisten
BAP-Fans gevotet haben

 

 

 

Und zum Abschluss der "Zwesche Salzjebäck un Bier"-Zeitreise
hier die LP-Kritik von Hans-Günther Schroeder in der "Musikexpress/Sounds" (7/84)

Anmerkung: Die Bewertung (5) bedeudet "sehr gut"